02.04.2025
Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist geprägt von vielfältigen und international tätigen Unternehmen mit globalen Wirtschaftsbeziehungen. Damit gehen zwangsläufig auch Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen aus verschiedenen Staaten einher. Die ordentliche Gerichtsbarkeit in Deutschland bot hierfür bislang nur eingeschränkt zeitgemäße Verfahrensmöglichkeiten. Daher wurden viele internationale Streitigkeiten in anderen Rechtsordnungen oder innerhalb der privaten Schiedsgerichtsbarkeit ausgetragen. Auch die Einrichtung von International Commercial Courts – besondere Zivil- und Handelskammern für (internationale) Wirtschaftsstreitigkeiten – an verschiedenen Landgerichten in Deutschland konnte diesem Trend nicht entgegenwirken.
Mithilfe des Justizstandort-Stärkungsgesetzes, das am 1. April 2025 in Kraft trat, soll nun der Justizstandort Deutschland zu einem attraktiven Forum für die Beilegung von grenzüberschreitenden Wirtschaftsstreitigkeiten werden. Das Gesetz sieht neben Modifikationen in der Zivilprozessordnung, die teilweise deutlich an die Regelungen zur Schiedsgerichtsbarkeit angelehnt sind, und dem Gerichtsverfassungsgesetz insbesondere die Einrichtung sogenannter Commercial Courts vor.
Die für den Wirtschaftsstandort Deutschland wohl bedeutsamste Neuerung liegt in der Ermächtigung der Landesregierungen dazu, einen oder mehrere Commercial Courts an den Oberlandesgerichten einzurichten (§ 119b Abs. 1 GVG). Bislang haben sechs Bundesländer von der Ermächtigung Gebrauch gemacht. An den Oberlandesgerichten Stuttgart, Bremen, Frankfurt und Düsseldorf sowie dem Hanseatischen Oberlandesgericht und dem Kammergericht Berlin wurden bereits Commercial Courts eingerichtet bzw. wurde die Einrichtung angekündigt.
In Deutschland ist eine objektive erstinstanzliche Zuständigkeit der Commercial Courts für zivilrechtliche Streitigkeiten nicht vorgesehen. Vielmehr müssen sich die Parteien ausdrücklich auf deren Zuständigkeit einigen (§ 119b Abs. 2 GVG). Diese Vereinbarung kann vor Klageerhebung, mit der Klageeinreichung oder auch erst nach einer Klageerhebung bei einem anderen Gericht getroffen werden.
Zusätzlich zur Einigung der Parteien gibt es weitere Voraussetzungen: Der Streitwert muss mindestens 500.000 Euro betragen (§ 119 Abs. 1 GVG), und die Streitigkeit muss zu einem der definierten Rechtsgebiete gehören. Dazu zählen: (1) bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern, (2) Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder Unternehmensanteilen sowie (3) Streitigkeiten zwischen Gesellschaften und den Mitgliedern ihrer Leitungsorgane oder Aufsichtsräte. Ausgenommen von der Zuständigkeit der Commercial Courts sind Streitigkeiten im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts und Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb. Der Gesetzgeber erklärt diese Ausnahmen damit, dass in diesen Bereichen kein besonderer Bedarf für Commercial Courts bestehe, da es insofern weder rückläufige Fallzahlen noch einen Mangel an spezialisierten Spruchkörpern gebe – letztere haben sich vielmehr bereits auf Ebene der Landgerichte herausgebildet.
Das Verfahren vor den Commercial Courts wird durch die §§ 606 ff. ZPO im sechsten Buch der ZPO geregelt und orientiert sich in vielerlei Hinsicht am Schiedsverfahrensrecht. Es zeigt sich eine klare Ausrichtung auf die erforderliche Flexibilität und Effizienz, wie man sie aus der privaten Schiedsgerichtsbarkeit kennt. Ein weiteres Novum ist, dass nun auch deutsche Gerichtsverfahren – von der Klageschrift bis zum Urteil – vollständig in englischer Sprache geführt werden können (§§ 184a und 184b GVG). Diese Neuerung trägt der internationalen Ausrichtung der Commercial Courts Rechnung und erleichtert die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg.
I. Deutsche Gerichtsverfahren in englischer Sprache
Auch wenn die englische Sprache deutschen Zivilgerichtssälen bisher nicht völlig fremd war – so verhandeln etwa in Köln, Bonn, Mannheim, Berlin und Hamburg bereits jetzt einige (auf internationale Wirtschaftsstreitigkeiten spezialisierte) Zivilkammern (die International Commercial Courts) auf Englisch – blieb bislang Deutsch die verbindliche Gerichtssprache (§ 184 S. 1 GVG). Das bedeutete, dass Schriftsätze und Gerichtsentscheidungen auf Deutsch verfasst und spätestens die Entscheidungsgründe regelmäßig für internationale Parteien von anwaltlicher Seite übersetzt werden mussten.
§ 184a GVG ermöglicht nun, Verfahren vollständig in englischer Sprache zu führen. Zwar bleibt offen, wie viele Verfahren in Deutschland künftig tatsächlich auf Englisch geführt werden. Dennoch ist es zu begrüßen, dass sich die deutsche Gerichtsbarkeit der lingua franca des internationalen Wirtschaftsverkehrs öffnet.
1. Voraussetzungen für die Durchführung englischsprachiger Verfahren
Damit ein Verfahren vor den Commercial Courts auf Englisch geführt werden kann, müssen nach dem Justizstandort-Stärkungsgesetz die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein. So muss (1) die jeweilige Landesregierung durch Rechtsverordnung bestimmt haben, dass das Verfahren vor dem Commercial Court vollständig in englischer Sprache geführt werden kann (§ 184a Abs. 1 Nr. 2 GVG), (2) müssen sich die Parteien auf Englisch als Verfahrenssprache verständigt haben (§ 184a Abs. 3 S. 1 GVG) und (3) muss der Rechtsstreit einen bestimmten Gegenstand betreffen, was jedoch bereits im Rahmen der Zuständigkeit der Commercial Courts zu prüfen ist (§ 184a Abs. 1 i.V.m. § 119b Abs. 1 S. 1 GVG).
Es ist also, wie bereits für die Zuständigkeit der Commercial Courts, der Parteikonsens maßgeblich. Die Parteien müssen einvernehmlich festlegen, dass das Verfahren auf Englisch geführt wird. Das kann vorgerichtlich ausdrücklich oder konkludent und ohne erschwerende Anforderungen gem. § 184a Abs. 3 S. 1 GVG erfolgen. Fehlt eine (vorgerichtliche) Vereinbarung, genügt es, wenn der Beklagte sich in der Klageerwiderung rügelos einlässt.
2. Folgen der Verständigung auf die englische Gerichtssprache
Die Reichweite der Sprachenwahl ergibt sich aus §§ 184a Abs. 3 GVG sowie den §§ 606 und 609 ZPO. Grundsätzlich ist danach das gesamte Verfahren in englischer Sprache zu führen (§184a Abs. 3 GVG). Konkret bedeutet das, dass neben der Klageschrift (§ 606 ZPO) und den Rechtsmittelschriften (§ 609 Abs. 1 ZPO) auch alle weiteren Schriftsätze in englischer Sprache einzureichen sind (vgl. § 184 Abs. 3 GVG „gesamte Verfahren“). Ebenso finden die mündliche Verhandlung und etwaige Beweisaufnahmen auf Englisch statt und auch die verfahrensleitenden sowie verfahrensabschließenden gerichtlichen Entscheidungen ergehen auf Englisch.
Dennoch sind die Parteien nicht zwingend und unwiderruflich an die englische Sprache gebunden. Nach § 184a Abs. 3 S. 2 GVG können sie auch auf Deutsch vortragen, wenn dies ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart wurde oder keine der Parteien sofort widerspricht. Darüber hinaus müssen deutschsprachige Urkunden nur auf Antrag ins Englische übersetzt werden (§ 184a Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GVG).
Ein weiteres Flexibilitätsmerkmal bietet § 184a Abs. 5 GVG, das den Parteien erlaubt, die Verfahrenssprache jederzeit – jedoch nur einmalig – zu wechseln. Ein Verfahren, das ursprünglich in Englisch geführt wurde, kann also auch auf Deutsch fortgesetzt werden.
II. Organisationstermin und Verfahrenskalender
Eine weitere an das Schiedsverfahren erinnernde Regelung findet sich in § 612 ZPO.
Demnach wird der Commercial Court im ersten Rechtszug so früh wie möglich einen Organisationstermin anberaumen, in dem gemeinsam mit den Parteien der Ablauf des Verfahrens festgelegt wird – vorausgesetzt, es stehen keine sachlichen oder organisatorischen Hindernisse entgegen. In diesem Termin wird idealerweise ein detaillierter Verfahrenskalender gemeinsam erarbeitet, der neben den Schriftsatzfristen und den Terminen für mündliche Verhandlungen auch langfristige Vorgaben enthält – beispielsweise zur finalen Urteilsfindung, vorbehaltlich unvorhergesehener Entwicklungen.
Zwar war der ZPO auch bislang die Berechtigung und Verpflichtung zur Vereinbarung über die Organisation und den Ablauf des Verfahrens nicht fremd – im Gegenteil sehen §§ 136, 139 ZPO dies ausdrücklich vor. Die Gerichte machen von diesen Regelungen jedoch zum einen bislang nur zurückhaltend Gebrauch und zum anderen gehen die terminbestimmenden und prozessleitenden Verfügungen einseitig vom Gericht aus und nicht auf Übereinkünfte der Parteien zurück. Ein kollaboratives Verfahrensmanagement erscheint indes insbesondere bei komplexen Streitfällen sinnvoll, wie die Schiedsgerichtspraxis belegt.
III. Wortprotokoll
Eine weitere verfahrensrechtliche Besonderheit liegt in der ebenfalls von der Schiedsgerichtspraxis inspirierten Vorschrift des § 613 ZPO. Danach ist auf einen übereinstimmenden Antrag der Parteien hin das Protokoll als ein während der Verhandlung oder einer Beweisaufnahme für die Parteien mitlesbares Wortprotokoll zu führen, soweit dem keine tatsächlichen Gründe entgegenstehen. In diesem mitlesbaren Wortprotokoll ist jedes einzelne gesprochene Wort zu erfassen. Gerade in Schiedsverfahren und internationalen Prozessordnungen ist diese Protokollführung gang und gäbe, um etwa Zeugen im Kreuzverhör vergangene Aussagen vorhalten zu können.
Es ist zu begrüßen, dass damit auch vor den Commercial Courts der oftmals in Schiedsgerichtsverfahren gewählte „Goldstandard“ der Protokollführung verfügbar ist, ohne dass die Parteien zu dieser durchaus kostenintensiven Art der Protokollführung gezwungen würden.
IV. Geheimnisschutz
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Justizstandort-Stärkungsgesetzes ist der verbesserte Geheimnisschutz, der nicht nur für die Commercial Courts gilt. Nach § 273a ZPO kann auf Antrag einer Partei eine streitgegenständliche Information ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig eingestuft werden, wenn diese ein Geschäftsgeheimnis i.S.v. § 2 Nr. 1 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) sein können. Wird dem Antrag stattgegeben, kommen die §§ 16 bis 20 GeschGehG zum Tragen. D. h. alle Informationen, die als Geschäftsgeheimnis eingestuft wurden, müssen während und nach Abschluss des Verfahrens vertraulich behandelt werden (§§ 16 Abs. 2, 18 GeschGehG).
V. Rechtsmittel
Abschließend sieht das Justizstandort-Stärkungsgesetz vor, dass gegen Urteile der Commercial Courts die Revision stattfindet – und zwar ohne die Notwendigkeit einer Zulassung (§ 614 ZPO). Damit haben die Entscheidungen der Commercial Courts im Vergleich zu den schiedsgerichtlichen Entscheidungen den Vorteil auf ihrer Seite, im Rahmen einer weiteren Instanz überprüft werden zu können.
Das Justizstandort-Stärkungsgesetz hat das Potential, die Attraktivität der deutschen ordentlichen Gerichtsbarkeit für großvolumige Wirtschaftsverfahren zu steigern und eine Alternative zu privaten Schiedsverfahren zu bieten. Abzuwarten bleibt allerdings, wie genau die Länder dieses Potential nutzen und das Konzept der Commercial Courts umsetzen werden.
Dr. Borbála Dux-Wenzel, LL.M.
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