02.10.2024
Um bestimmte Netto-Null-Technologien in der Europäischen Union zu fördern und die Lieferungen dieser Technologien zu diversifizieren, hat die Europäische Union die Netto-Null-Industrie-Verordnung erlassen (englisch: Net Zero Industry Act; kurz: „NZIA“, seit dem 29. Juni 2024 in Kraft). Mit dem NZIA sind weitreichende neue Regelungen verbunden, die teilweise auch (neue) Erneuerbare-Energien-Projekte betreffen.
Unmittelbar verpflichtet sind die Mitgliedstaaten: Sogenannte Auktionen für die Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen sollen gemäß der ab dem 30. Dezember 2025 geltenden Vorschrift des Art. 26 NZIA künftig einen Beitrag zu Nachhaltigkeit und Resilienz leisten müssen. Dies soll vor allem durch die Aufstellung von entsprechenden Vorqualifikations- und Zuschlagskriterien sichergestellt werden. In Deutschland sieht das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) Ausschreibungen für Erneuerbare-Energien-Anlagen vor, sodass eine Anpassung des nationalen Rechts an die neuen Bestimmungen erfolgen muss. Dies betrifft insbesondere die Berechtigung zur Teilnahme (Vorqualifikationskriterien) und die Gebote selbst (Zuschlagskriterien). Ausnahmen sind lediglich bei unverhältnismäßigen Kosten seitens der Mitgliedstaaten und in Bezug auf kleine Anlagen vorgesehen. Mittelbar sind daher die Marktakteure im Bereich erneuerbarer Energien selbst betroffen, insbesondere Projektentwickler, Anlagenbetreiber, Hersteller von Netto-Null-Technologien bzw. ihrer wichtigsten Bestandteile, EPC-Unternehmen, aber auch Projektfinanzierer und Banken.
Relevante Netto-Null-Technologien, die gemäß der neuen Regelungen gestärkt werden sollen, sind etwa Solartechnologien einschließlich Photovoltaik, Technologien für die Onshore- und Offshore-Windkraft, Batterie- und Energiespeichertechnologien, Wasserstofftechnologien einschließlich Elektrolyseure und Brennstoffzellen, Technologien für nachhaltiges Biogas und Biomethan, sowie sonstige Technologien im Bereich erneuerbare Energien, soweit sie nicht unter die bereits aufgelisteten Technologien fallen.
Betroffen sind mindestens 30% des jährlichen Ausschreibungsvolumens pro Mitgliedstaat oder alternativ mindestens 6 Gigawatt pro Jahr und Mitgliedstaat, wobei Ausnahmen bei Unterzeichnungen der Ausschreibungen möglich sind. Anlagen bis max. 10 MW können von den Vorgaben ausgenommen werden.
Neu benannte Vorqualifikationskriterien betreffen die Berechtigung, überhaupt ein Gebot abgeben zu dürfen. Sie werden entsprechend durch alle Bieter in der entsprechenden Ausschreibung erfüllt werden müssen. Der NZIA zählt hierzu die folgenden Vorqualifikationskriterien (kumulativ) auf:
Auch der Beitrag der Ausschreibung zu Nachhaltigkeit und Resilienz selbst kann bereits als Vorqualifikationskriterium umgesetzt werden, wobei die Mitgliedstaaten diesbezüglich die Wahl haben, auch (nur) Zuschlagskriterien vorzugeben (dazu nachfolgend).
Details zur Ausgestaltung der Vorqualifikationskriterien und der jeweiligen Nachweisführung nennt der NZIA zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Eine Präzisierung der Anforderungen bleibt einem bis zum 30. März 2025 zu erlassenden Durchführungsrechtsakt auf EU-Ebenevorbehalten.
Der NZIA bestimmt, dass die Ausschreibungen selbst einen Beitrag zu Nachhaltigkeit und Resilienz (bezogen auf die Netto-Null-Technologien, die gestärkt werden sollen), leisten müssen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden daher neue Zuschlagskriterien festgelegt, wobei die Mitgliedstaaten auch berechtigt sind, diese Zuschlagskriterien bereits im Rahmen der Vorqualifikationskriterien zu berücksichtigen.
Der NZIA misst in diesem Zusammenhang dem Beitrag der Ausschreibung zur Resilienz eine besondere Bedeutung bei, da dieses Kriterium in jedem Fall berücksichtigt werden muss. Zudem soll im Rahmen des Beitrags zur Nachhaltigkeit zu mindestens einem der in dem NZIA aufgezählten (Unter)Faktoren beigetragen werden: Entweder muss die Ausschreibung somit einen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit oder zur Innovation oder zur Integration des Energiesystems leisten. Die Kriterien müssen zudem objektiv, transparent und nichtdiskriminierend sein. Insofern bleibt grundsätzlich ebenfalls der bis zum 30. März 2025 zu erlassende Durchführungsrechtsakt abzuwarten.
Der Beitrag der Ausschreibung zur Resilienz ist vor dem Hintergrund der mit dem NZIA unter anderem angestrebten Diversifikation von Lieferungen von Netto-Null-Technologien bzw. ihrer wichtigsten spezifischen Bauteile zu verstehen. Die Ausschreibung soll also zur Resilienz der Versorgung mit den entsprechenden Technologien in der Europäischen Union beitragen.
Eine Ausschreibung trägt demnach zur Resilienz bei, indem der Anteil der jeweiligen Netto-Null-Technologie bzw. ihrer wichtigsten spezifischen Bauteile betrachtet wird, der aus einem Drittland stammt, auf das mehr als 50% des Lieferanteils dieser spezifischen Netto-Null-Technologie bzw. ihrer wichtigsten spezifischen Bauteile in der Europäischen Union entfallen. Anders gesagt: Stammen mehr als 50% der Lieferungen innerhalb der Union hinsichtlich einer bestimmten Netto-Null-Technologie aus einem (einzigen) Drittland, ist die Versorgung mit dieser Technologie unzureichend diversifiziert, und es sollte eine Diversifikation der Lieferanteile stattfinden. Wie konkret die Diversifikation der Lieferanteile gestärkt werden soll, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen: Denkbar ist, dass die Verwendung von Netto-Null-Technologien, die zur Diversifikation der Lieferanteile beitragen, entweder zur Voraussetzung für die Ausschreibungsteilnahme gemacht wird (dazu vorstehend) oder als Zuschlagskriterium zu berücksichtigen wäre. Aus welchem Land eine Netto-Null-Technologie bzw. die jeweiligen wichtigsten spezifischen Bauteile stammen, soll nach der Zollverordnung der Europäischen Union (VO (EU) Nr. 952/2013) bestimmt werden.
Während das Thema Resilienz in allen Ausschreibungen berücksichtigt werden muss, stellt der NZIA für das Beitragen einer Ausschreibung zur Nachhaltigkeit eine Reihe an Unterfaktoren auf, von denen jeweils mindestens ein Unterfaktor im Rahmen der Ausschreibung berücksichtigt werden muss:
I. Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit
Wird der Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit im Rahmen der Ausschreibungen berücksichtigt, sind verschiedenste berücksichtigungsfähige Elemente denkbar.
Beispielhaft zählt der NZIA die folgenden, berücksichtigungsfähigen Elemente auf:
II. Beitrag zur Innovation
Wird der Beitrag der Ausschreibung zur Innovation berücksichtigt, meint dies gemäß des NZIA die Bereitstellung völlig neuer Lösungen oder die Verbesserung vergleichbarer hochmoderner Lösungen. Dies soll insbesondere innovativere und fortschrittlichere Technologien für erneuerbare Energien unterstützen. Insofern ist also etwa denkbar, dass bestimmte, besonders innovative Technologien künftig im Rahmen von Ausschreibungen als Vorqualifikations- oder Zuschlagskriterien berücksichtigt werden.
III. Beitrag zur Integration des Energiesystems
Wird der Beitrag zur Integration des Energiesystems berücksichtigt, meint dies gemäß des NZIA etwa den Beitrag zur Energiespeicherung, Abwärme- oder Kälterückgewinnung und die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff. Denkbar ist insofern, dass künftig Anlagenkombinationen wieder stärker in den Fokus gestellt werden, etwa Kombinationen aus Erneuerbare-Energien-Anlagen mit Batteriespeichern oder Wasserstofferzeugungsanlagen. Auch ist denkbar, dass Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen insofern verstärkt von den Regelungen betroffen sein werden.
Grundsätzlich ist vorgesehen, dass die gewählten Zuschlagskriterien mindestens mit 5% bzw. kombiniert zwischen 15% und 30% gewichtet werden. Die Mitgliedstaaten sind grundsätzlich im Rahmen weiterer unionsrechtlicher Vorschriften aber berechtigt, bestimmte Kriterien stärker zu gewichten.
Die Regelungen des NZIA werden die künftigen Regelungen zu Ausschreibungen im EEG voraussichtlich erheblich beeinflussen können. Wann und in welcher Form dies genau erfolgen wird, ist noch unklar, obgleich NZIA und Resilienzausschreibungen bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für das Solarpaket I diskutiert wurden. Gleichzeitig sind auf Ebene der Europäischen Union wesentliche Rechtsfragen, insbesondere die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Vorqualifikations- und Zuschlagskriterien, noch offen. Diesbezüglich wird jedenfalls der bis zum 30. März 2025 durch die Kommission zu erlassende Durchführungsrechtsakt erste Klarheit bringen können.
Yelena Bonzel
Senior Associate
Düsseldorf
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