29.09.2023
Nachdem am 7. Juli 2023 der Deutsche Bundestag mit erheblicher Verzögerung das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG) verabschiedet hat, hat nun auch der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. September 2023 dem Gesetz zugestimmt. Es kann damit am Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten.
Zentraler Teil des Gesetzes ist das Gesetz zur gebündelten Durchsetzung von Verbraucherrechten (Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz – VDuG), mit dem die bereits bestehenden Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes – das Kapitalanlager-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), das Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) sowie die Musterfeststellungsklage – um die Abhilfeklage erweitert wird. Mit dieser wird erstmals eine kollektive Leistungsklage in das deutsche Recht eingeführt. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über diese neue Verbandsklage.
Der Abhilfeklage kommt im Vergleich zu den Vorgeben der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG („Verbandsklagen-Richtlinie“) ein weiter Anwendungsbereich zu. Sie kann nicht nur bei Verstößen gegen einzelne, enumerativ aufgeführten Verbraucherschutzvorschriften erhoben werden, sondern gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 VDuG in sämtlichen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche und Rechtsverhältnisse einer Vielzahl von Verbrauchern gegen einen Unternehmer betreffen.
Die Vorgaben der Verbandsklagen-Richtlinie werden auch insoweit überschießend umgesetzt, als sich nicht nur Verbraucher der Abhilfeklage anschließen können. Nach § 1 Abs. 2 VDuG wird der Anwendungsbereich auf Kleinunternehmen erstreckt, die als Verbraucher im Sinne des Gesetzes gelten. Kleinunternehmen sind nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 Satz 2 VDuG Unternehmen, die weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanz zwei (2) Millionen Euro nicht übersteigt (Kleinunternehmen). Das Gesetz selbst legt freilich nicht fest, wie die Schwellenwerte zu berechnen sind. Diese Frage wird die Gerichtspraxis zu klären haben, wobei dem Gesetzgeber vorschwebt, zur Berechnung der Schwellenwerte die Empfehlung der Kommission vom 06. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG) heranzuziehen.
Die Verbraucher selbst sind nicht zur Erhebung einer Abhilfeklage befugt. Vielmehr steht die Klagebefugnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 VDuG qualifizierten (inländischen) Verbraucherverbänden zu, die in der Liste nach § 4 des UKlaG eingetreten sind und nicht mehr als 5 Prozent ihrer Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen. Qualifizierte Einrichtungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten können ebenfalls eine Abhilfeklage erheben, sofern sie in einem bestimmten Verzeichnis der Europäischen Kommission eingetragen sind (vgl. § 2 Abs. 1 Nr 2 VDuG). Unternehmer können daher vor einem Gericht in Deutschland sowohl von in- als auch von ausländischen Verbraucherschutzverbänden in Anspruch genommen werden.
Nach § 4 Abs. 1 VDuG ist eine Abhilfeklage zulässig, wenn die klageberechtigte Stelle in der Klageschrift nachvollziehbar darlegt, dass von der Abhilfeklage Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sein können. Auch insoweit wurden im Verlaufe der parlamentarischen Beratungen die Zulässigkeitsanforderungen abgesenkt. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollte noch glaubhaft gemacht werden, dass von der Abhilfeklage Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sind.
Die Verbraucher selbst nehmen indes nicht automatisch an der Abhilfeklage teil. Sie müssen nach § 46 Abs. 1 VDuG ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die Gegenstand der Abhilfeklage sind, zur Eintragung in das Verbandsklagenregister anmelden. Das VDuG sieht damit weiterhin ein Opt-In Modell vor. Allerdings wird die Anmeldefrist im Vergleich zum Gesetzentwurf der Bundesregierung noch einmal verlängert. Während nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung die Anmeldung bis zum Ablauf von zwei Monaten nach dem ersten Termin erfolgen konnte, ist eine Anmeldung nunmehr bis zum Ablauf von drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig (vgl. § 46 Abs. 1 VDuG). Die Verbraucher haben damit die Möglichkeit, das Verfahren (nicht aber die Urteilsverkündung) abzuwarten und zu bewerten, um sich dann innerhalb von drei Wochen zu entscheiden, ob sie an der Abhilfeklage teilnehmen wollen. Eine Anmeldung erst nach Urteilsverkündung ist hingegen ausgeschlossen, da nach § 13 Abs. 4 VDuG ein Urteil nicht vor Ablauf von sechs Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ergehen darf. Dadurch wird sichergestellt, dass die Anmeldefrist vor Urteilsverkündung abgelaufen ist.
Zentrales Kriterium für die Zulässigkeit der Abhilfeklage ist die Gleichartigkeit der Verbraucheransprüche. Während im Gesetzentwurf der Bundesregierung noch vorgesehen war, dass die von der Klage betroffenen Ansprüche von Verbrauchern gleichartig sind, ist nach dem Wortlaut des Gesetzes für die Zulässigkeit der Klage erforderlich, dass diese Ansprüche im Wesentlichen gleichartig sind. Dies ist gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 VDuG dann der Fall, wenn „die Ansprüche auf demselben Sachverhalt oder auf einer Reihe im Wesentlichen vergleichbarer Sachverhalte beruhen“ und „für die Ansprüche die im Wesentlichen gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind“. Es bleibt abzuwarten, wie dieses für die Zulässigkeit der Abhilfeklage zentrale Kriterium von den Gerichten ausgelegt werden wird.
Eine Prozessfinanzierung von Abhilfeklagen durch Dritte ist grundsätzlich möglich, unterliegt aber strengen Vorgaben, die sicherstellen sollen, dass Interessenkonflikte vermieden werden und der Schutz der Interessen der Verbraucher nicht aus dem Fokus gerät (vgl. Art. 10 Abs. 1 der Verbandsklagen-Richtlinie). So ist eine Abhilfeklage unzulässig, wenn sie von einem Dritten finanziert ist, der (1) ein Wettbewerber des verklagten Unternehmers ist, (2) der vom verklagten Unternehmer abhängig ist, dem (3) ein wirtschaftlicher Anteil an der vom verklagten Unternehmer zu erbringenden Leistung von mehr als 10 Prozent versprochen ist oder (4) vom den zu erwarten ist, dass er die Prozessführung der klageberechtigten Stelle, einschließlich Entscheidungen über Vergleiche, zu Lasten des Verbrauchers beeinflussen wird (vgl. § 4 Abs. 2 VDuG). Bereits mit der Klageeinreichung sind dem Gericht die Herkunft der Mittel, mit denen die Klage finanziert wird, offenzulegen. Wird die Klage durch einen Dritten finanziert, sind darüber hinaus auch die mit dem finanzierenden Dritten getroffenen Vereinbarungen offenzulegen.
Der Ablauf einer Abhilfeklage lässt sich wie folgt skizzieren:
Die klageberechtigte Stelle erhebt vor dem zuständigen Oberlandesgericht eine Abhilfeklage, mit der es die Verurteilung des Unternehmers zu einer Leistung an die betroffenen Verbraucher begehrt. Als Leistung kann auch die Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrages begehrt werden (vgl. § 14 VDuG).
Hält das Gericht die Abhilfeklage dem Grunde nach für begründet, so erlässt es ein Abhilfegrundurteil. Das Abhilfegrundurteil enthält neben der Verpflichtung zu der vom verklagten Unternehmer zu erbringenden Leistung auch die konkreten Voraussetzungen, nach denen sich die Anspruchsberechtigung für die betroffenen Verbraucher bestimmt und die Berechtigungsnachweise, die von jedem Verbraucher im Umsetzungsverfahren zu erbringen sind. Für den Fall, dass Zahlung an namentlich benannte Verbraucher begehrt wird, entscheidet das Gericht hingegen direkt durch Urteil. Hält das Gericht die Abhilfeklage für unzulässig oder unbegründet, weist es die Klage durch Urteil ab. Diese Urteile sind mit der Revision anfechtbar.
Im Anschluss an die Verkündung des Abhilfegrundurteils fordert zunächst das Gericht die Parteien auf, einen schriftlichen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten (vgl. § 17 VDuG). Schließen die Parteien einen wirksamen Vergleich ist das Abhilfeverfahren beendet. Dieser bedarf nach 9 Abs. 2 VDuG der Zustimmung durch das Gericht.
Kommt zwischen den Parteien kein Vergleich zustande und ist das Abhilfegrundurteil rechtskräftig, setzt das Gericht das Abhilfeverfahren fort und entscheidet durch Abhilfeendurteil, mit dem das Umsetzungsverfahren angeordnet wird. Sofern mit der Abhilfeklage die Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrages geltend gemacht wird, wird im Abhilfeendurteil die Verurteilung des Unternehmers zur Zahlung eines solchen Betrages zu Händen des Sachwalters ausgesprochen. Die Höhe des Gesamtbetrages kann vom Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung bestimmt werden; eine Schätzung des Zahlungsbetrages ist in entsprechender Anwendung von § 287 ZPO möglich.
Dem Abhilfeendurteil schließt sich das Umsetzungsverfahren an, für das das Prozessgericht der Abhilfeklage ausschließlich zuständig ist (vgl. § 22 VDuG). Das Gericht bestellt einen Sachwalter, der einen Umsetzungsfonds errichtet, in dem der vom Gericht ausgeurteilte kollektive Gesamtbetrag einzuzahlen ist. Am Umsetzungsverfahren nehmen alle Verbraucher teil, die ihre Ansprüche wirksam zum Verbandsklagenregister angemeldet haben und die ihre Anmeldung nicht wirksam zurückgenommen haben (vgl. § 26 VDuG).
Der Sachwalter hat darüber hinaus die Aufgabe, die jeweilige Anspruchsberechtigung der einzelnen, am Umsetzungsverfahren teilnehmenden Verbraucher zu prüfen. Anschließend teilt er dem betroffenen Verbraucher und dem Unternehmer mit, ob sich ein Anspruch ganz oder teilweise als berechtigt erweist. Gegen diese Entscheidung können beide Seiten – betroffener Verbraucher und Unternehmer – binnen einer Frist von vier Wochen Widerspruch einlegen, über den der Sachwalter dann zu entscheiden hat. Das Gesetz räumt dem betroffenen Verbraucher und dem Unternehmer das Recht ein, innerhalb einer Frist von zwei Wochen einen besonderen Rechtsbehelf zu erheben und beim Prozessgericht der Abhilfeklage eine Entscheidung über den Widerspruch zu beantragen (vgl. § 28 Abs. 4 VDuG).
Die Erhebung einer Abhilfeklage hemmt die Verjährung der Ansprüche der Verbraucher und der mit ihnen gleichgestellten Unternehmen, wenn die betreffenden Ansprüche zum Verbandsklagenregister anmelden. Dabei soll es nach dem Willen des Gesetzgebers für den Eintritt der Verjährungshemmung allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung ankommen. Dies bedeutet, dass die Anmeldung des Anspruchs in das Verbandsklagenregister weiterhin nicht innerhalb der Verjährungsfrist erfolgen muss.
Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Abhilfeklage zu einer erheblichen Entlastung der Justiz gerade im Bereich von Massenverfahren führen. Ob diese Entlastung aber tatsächlich eintritt, bleibt angesichts des recht aufwändigen Verfahrens der Abhilfeklage abzuwarten. Für Unternehmen bedeutet die Abhilfeklage gleichwohl ein beträchtliches Haftungsrisiko, da möglicherweise erheblich mehr Verbraucher ihre Ansprüche beim Verbandsklagenregister anmelden, als ihre Ansprüche im Wege einer Individualklage geltend zu machen, zumal die Verbraucher kein Kostenrisiko trifft. Mit der Abhilfeklage ist daher zu rechnen, zumal die Vorständin des Verbrauchzentrale Bundesverbandes e.V. erklärt hat, die Sammelklage zügig nutzen zu wollen.
Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss
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