02.11.2023
Im Rahmen eines Kartellvergleichsverfahrens hat die Europäische Kommission Geldbußen in Höhe von insgesamt EUR 13,4 Mio. gegen sechs Pharmaunternehmen verhängt. Der Entscheidung lagen Preisabsprachen und Quotenzuweisungen über den Wirkstoff N-Butylscopolaminiumbromid zugrunde. Dieser ist ein wichtiger Ausgangsstoff für die Herstellung des Arzneimittels Buscopan und entsprechender Generika. Auch der Austausch sensibler Geschäftsinformationen war Gegenstand der Bußgeldentscheidung.
Auch wenn die Gesundheits- und vor allem die Pharmaindustrie seit jeher im Fokus der Kartellbehörden stehen, ist es die erste Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission, die ein Kartell über einen konkreten pharmazeutischen Wirkstoff betrifft. Die Entscheidung stellt daher einen wichtigen Präzedenzfall für das Kartellrecht im Gesundheitssektor dar.
Nachdem der Kronzeuge C2 Pharma die Europäische Kommission von dem Kartell in Kenntnis gesetzt hatte, leitete diese eine Untersuchung ein. Bei den betroffenen Unternehmen handelt es sich sowohl um Hersteller als auch um Vertreiber des pharmazeutischen Wirkstoffs. Die Europäische Kommission stellte infolge ihrer Untersuchung für den Zeitraum 2005 bis 2019 einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV fest. Nach dieser Vorschrift sind Kartelle und andere wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen verboten.
Sechs der Unternehmen entschieden sich für einen Vergleich mit der Europäischen Kommission, bei dem sie die Vorwürfe der Kartellbehörde einräumten und die Geldbußen akzeptierten. Durch den Vergleich ermäßigten sich die Bußgelder um jeweils 10 %. Sinn und Zweck des 2008 eingeführten Vergleichsverfahrens gem. Art. 10a VO (EG) 773/2004 liegt vor allem in der Vereinfachung und Verkürzung des Kartellverfahrens. Ein siebtes Unternehmen (Alchem) lehnte einen Vergleich ab, sodass in diesem Fall noch ein reguläres Kartellverfahren anhängig ist.
Der weitaus größte Teil der verhängten Bußgelder entfällt mit EUR 10,4 Mio. auf das Unternehmen Boehringer. Alkaloids of Australia und Alkaloids Corporation sind mit jeweils mehr als einer halben Million EUR betroffen. Dem Unternehmen C2 Pharma wurde die Geldbuße aufgrund der Kronzeugenregelung vollständig erlassen. Die Geldbußen gegen Transo-Pharm und Linnea wurden aufgrund ihres Beitrags zur Aufklärung des Kartells um 50 % bzw. 30 % ermäßigt.
Wie sich aus dem Bericht der Europäischen Kommission zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor aus 2019 ergibt, wurden bereits in den Jahren 2009-2017 durch die Europäische Kommission und nationale Kartellbehörden 29 Entscheidungen gegen Unternehmen im Arzneimittelsektor erlassen und dabei unter anderem Bußgelder in Höhe von rund EUR 1 Mrd. verhängt. Die aktuelle Entscheidung zeigt einmal mehr, dass der Gesundheitssektor und insbesondere die Arzneimittelindustrie im Fokus der Wettbewerbsbehörden stehen, wenn es um die Aufklärung von Kartellverstößen geht. So betonte auch der für Wettbewerbspolitik in der EU zuständige Kommissar Didier Reynders im Zusammenhang mit der Entscheidung die Wichtigkeit dieser „Branche, in der Wettbewerb eine wesentliche Voraussetzung für den Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln ist“.
Verstöße gegen das Kartellrecht können nicht nur hohe Strafen und Bußgelder nach sich ziehen, sondern neben Imageschäden auch Schadensersatzforderungen betroffener Dritter auslösen. So weist die Europäische Kommission in ihrer Pressemitteilung vom 19.10.2023 ausdrücklich darauf hin, dass Personen und Unternehmen, die von dem beschriebenen wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen sind, vor den nationalen Gerichten Schadensersatzansprüche geltend machen können. Nach der Rechtsprechung des EuGH und der Verordnung 1/2003 sind Beschlüsse der Europäischen Kommission ein bindender Nachweis dafür, dass ein wettbewerbswidriges Verhalten stattgefunden hat – das erleichtert potentiellen Klägern die Durchsetzung möglicher Ersatzansprüche. Im deutschen Kartellrecht besteht darüber hinaus die Möglichkeit, Geldbußen auch gegen natürliche Personen zu verhängen.
Pharmaunternehmen sind daher mehr denn je dazu gehalten, bei Vertriebsvereinbarungen und Kooperationen mit Wettbewerbern oder anderen Partnern kartellrechtliche Compliance sicherzustellen, um hohe finanzielle und sonstige immaterielle Schäden zu vermeiden. Marktbeherrschende und marktmächtige Arzneimittelhersteller und -händler müssen darüber hinaus auch bei einseitigen Maßnahmen die Grenzen des Marktmachtmissbrauchsverbot zu beachten, insbesondere bei der Preis- und Rabattgestaltung für ihre Produkte. Dabei ist es unerlässlich, die Besonderheiten der pharmazeutischen Industrie in die Compliance-Bemühungen einzubeziehen.
Quelle: Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 19.10.2023. Die Veröffentlichung weiterer Informationen zu dem Fall unter der Nummer AT.40636 steht noch aus und soll nach der Prüfung zum Schutz vertraulicher Daten hier erfolgen.
Prof. Dr. Christian Burholt, LL.M.
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