22.10.2024

BGH klärt wichtige Streitfrage zum kollektiven Rechtsschutz (BGH, Urteil vom 11.09.2024 – I ZR 168/23)

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 11. September 2024 (I ZR 168/23) entschieden, dass Verbraucherverbände über den wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch (§ 8 Abs. 1 UWG) nicht die Rückerstattung von zu Unrecht erhobener Entgelte an die betroffenen Verbraucher verlangen können. Damit ist eine praktisch bedeutsame Frage des kollektiven Rechtsschutzes, die vor einigen Jahren durch eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden (Az. 14 U 82/16) in den Fokus gerückt war, höchstrichterlich geklärt. Das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden, das gegen eine Genossenschaftsbank erging, hatte seinerzeit nicht nur bei Banken für Aufsehen gesorgt.

Sachverhalt

Der Beklagte veranstaltete im Jahr 2019 ein Festival, dessen Besucher zur Bezahlung auf dem Festivalgelände ein Chip-Armband erwerben und mit Geldbeträgen aufladen konnten. Der Beklagte bot an, die nicht verbrauchten Geldbeträge – abzüglich einer Rückerstattungsgebühr („Payout Fee“) von EUR 2,50 – zurückzuerstatten. Die entsprechenden Nutzungsbedingungen lauteten: „Bei der Auszahlung des restlichen Guthabens nach dem Festival durch das Eventportal wird eine Rückerstattungsgebühr von 2,50 EUR fällig“.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv) hielt diese Klausel und folglich auch den Einbehalt der Gebühr für unlauter. Er hat daher den Beklagten auf Rückzahlung der Payout Fee an die betroffenen Verbraucher in Anspruch genommen und hilfsweise die Erteilung von Auskunft über die Kunden verlangt, die Verbraucher sind und von denen die Payout Fee einbehalten wurde. Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Urteil

Der Bundesgerichtshof hielt die Klausel des Beklagten über die Erhebung einer Payout Fee von EUR 2,50 zwar gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB für unwirksam und bejahte zudem einen Verstoß gegen §§ 3, 3a UWG. Allerdings könne der vzbv nicht mittels des wettbewerbsrechtlichen (Folgen-)Beseitigungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 UWG die Rückerstattung der zu Unrecht einbehaltenen Gebühren an die betroffenen Verbraucher verlangen.

Denn, so der Bundesgerichtshof, die Zuerkennung eines (Folgen-)Beseitigungsanspruchs auf Rückzahlung von zulasten einer Vielzahl von Verbrauchern einbehaltener Geldbeträge an die betroffenen Verbraucher stehe insbesondere mit der Systematik des kollektiven Rechtsschutzes nach dem geltenden Recht nicht im Einklang. Zum einen habe der Gesetzgeber ein aus Sicht der Verbraucher bestehendes Durchsetzungsdefizit bei der Durchsetzung von sog. Streuschäden erkannt und dessen Ausgleich über die verschuldensabhängige Gewinnabschöpfung (§ 10 UWG) bzw. über den ebenfalls verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch des Verbrauchers (§ 9 Abs. 2 UWG) regeln wollen. Zum anderen stünden mit der im Jahr 2023 eingeführten Abhilfeklage und der seit dem Jahr 2018 bestehenden Musterfeststellungsklage Instrumentarien zur Verfügung, mittels derer durch qualifizierte Verbraucherverbände – und damit auch durch den vzbv – Ansprüche von Verbrauchern gegen Unternehmer geltend gemacht und Feststellungen, die für eine Vielzahl von Ansprüchen relevant sind, getroffen werden können. Um an dem Abhilfeverfahren bzw. dem Musterfeststellungsverfahren teilnehmen zu können, müssen Verbraucher indes selbst aktiv werden und ihre Ansprüche wirksam zur Eintragung im Verbandsklagenregister anmelden (§ 4 Abs. 1, § 46 VDuG).

Ausblick

Das Urteil ist nicht nur für Kreditinstitute von großer praktischer Relevanz. Aus Unternehmenssicht ist es zu begrüßen, dass der Bundesgerichtshof durch seine Entscheidung das vom Gesetzgeber austarierte System des kollektiven Rechtsschutzes samt seiner Voraussetzungen nicht durch die Hintertür über die Anerkennung eines auf Erstattung gerichteten Beseitigungsanspruchs gemäß § 8 UWG aus den Angeln gehoben hat. Im Wege des kollektiven Rechtsschutzes wird eine Klage auf Leistung, die letztlich den Verbrauchern zugutekommt, nur mittels der Abhilfeklage erfolgen können. Der vzbv hat in einer Stellungnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs bereits angekündigt, diese Klageform intensiv nutzen zu wollen.

Zudem sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass von Verbraucherverbänden und anderen qualifizierten Einrichtungen eine Gewinnabschöpfungsklage (§ 10 UWG) zu Gunsten des Bundeshaushalts erhoben werden kann. Die Gewinnabschöpfungsklage nach § 10 UWG war bislang nur von geringer praktischer Relevanz. Dies lag unter anderem am Vorsatzerfordernis und auch daran, dass der Bundesgerichtshof eine Prozessfinanzierung durch Dritte als eine nach § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung ansah. Der Gesetzgeber hat anlässlich der Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie die Voraussetzungen für eine Gewinnabschöpfungsklage jüngst gelockert. So genügt nunmehr eine grob fahrlässig begangene unlautere Handlung; außerdem ist nunmehr eine Prozessfinanzierung durch Dritte grundsätzlich zulässig.

Unternehmen sind also gut beraten, sich mit den unterschiedlichen Formen des kollektiven Rechtsschutzes vertraut zu machen.

Autor/in
Daniel Latta

Daniel Latta
Partner
Berlin
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