11.11.2021

Bundesverwaltungsgericht kippt Berliner Vorkaufspraxis

Hintergrund

Eine der zentralen Säulen der Berliner Wohnungspolitik bestand in den letzten Jahren darin, in Milieuschutzgebieten das gemeindliche Vorkaufsrecht zu nutzen oder die Ausübung eines Vorkaufsrechts anzukündigen, um Druck auf die Käufer von Wohnimmobilien auszuüben, weitreichende Abwendungsvereinbarungen mit dem Land Berlin zu schließen. Auf diese Weise sollte Verdrängungseffekten für die in den Wohngebäuden ansässigen Mieter entgegengewirkt werden.

Dieser Praxis hat das Bundesverwaltungsgericht nunmehr mit seinem viel beachteten Urteil vom 09.11.2021 (Az.: 4 C 1.20) einen Riegel vorgeschoben. Die Entscheidung ist nicht nur für Berlin relevant. Auch andere deutsche Städte, etwa Hamburg und München, haben in den letzten Jahren vermehrt Vorkaufsrechte in Milieuschutzgebieten ausgeübt und Abwendungsvereinbarungen mit Käufern geschlossen. Auch für diese Städte ist die Entscheidung des BVerwG richtungsweisend.

Inhalt und Gegenstand des Urteils des BVerwG

Das BVerwG hatte über Inhalt und Reichweite der Ausschlussvorschrift des § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB zu entscheiden, nach der die Ausübung eines Vorkaufsrechts ausgeschlossen ist, wenn das betreffende Grundstück entsprechend den Zielen und Zwecken der Erhaltungsverordnung bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 Satz 1 BauGB aufweist.

Das OVG Berlin-Brandenburg vertrat dazu in der vorinstanzlichen Entscheidung vom 22.10.2019 (Az.: 10 B 9.18) die Auffassung, dass die Nutzung eines Grundstücks im Zeitpunkt des Verkaufs für die Ausübung eines Vorkaufsrechts in der Regel ohne Bedeutung sei, da es für die Frage, ob ein Vorkaufsrecht nach § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB ausgeschlossen ist, nicht auf den gegenwärtigen Zustand, sondern darauf ankomme, ob die zu erwartenden künftigen Nutzungen durch den Käufer den Zielen und Zwecken des Milieuschutzrechts entgegenstehen.

Nach der Entscheidung des OVG, auf die sich die bisherige Vorkaufspraxis Berlins stützte, reichte es deshalb für die Ausübung von Vorkaufsrechten aus, wenn anzunehmen war, dass es nach dem Verkauf eines Wohngebäudes zu mieterhöhenden Maßnahmen oder zu einer Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum kommen würde. In solchen Fällen sahen die Berliner Bezirksämter die Voraussetzungen für einen Vorkauf als gegeben an, da sie von zukünftigen negativen Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ausgingen.

Dieser Sichtweise ist das BVerwG entgegengetreten. Es hat entschieden, dass sich die Ausschlussvorschrift des § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB nur auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über die Ausübung eines Vorkaufsrechts bezieht und es entgegen der Rechtsauffassung des OVG nicht darauf ankomme, ob von zukünftigen erhaltungswidrigen Absichten eines Grundstückskäufers auszugehen ist.

Nach der Entscheidung des BVerwG kommt die Ausübung eines Vorkaufsrechts deshalb nur noch in Betracht, wenn ein Gebäude oder seine Nutzung zum Ausübungszeitpunkt nicht den Anforderungen des Milieuschutzrechts entspricht oder es gravierende bauliche Missstände aufweist, auf deren Beseitigung die Ausübung des Vorkaufsrechts abzielt.

Folgen für die Ausübung von Vorkaufsrechten

Die bisherige Praxis der Berliner Bezirksämter, Vorkaufsrechte auszuüben oder Abwendungsvereinbarungen abzuschließen, wenn lediglich Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die zukünftige Nutzung eines Gebäudes den Zielen und Zwecken des Milieuschutzes zuwiderlaufen wird, lässt sich nach der Entscheidung des BVerwG nicht mehr aufrechterhalten.

In den allermeisten Fällen dürfte davon auszugehen sein, dass die Wohngebäude, die bislang für einen gemeindlichen Vorkauf in Frage gekommen wären, den Ausschlusstatbestand des § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB erfüllen, weil sie zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung über die Ausübung eines Vorkaufsrechts den Zielen und Zwecken des Milieuschutzes entsprechend genutzt werden. Nach der Entscheidung des BVerwG wird es deshalb nur noch in seltenen Fällen zu einer Ausübung von Vorkaufsrechten in Milieuschutzgebieten kommen können, etwa, wenn ein Gebäude bauliche Missstände aufweist, deren Beseitigung das Vorkaufsrecht dienen soll.

Folgen für den Abschluss von Abwendungsvereinbarungen

Mit dem Wegfall der Möglichkeit, Vorkaufsrechte auszuüben, ist außerdem die Möglichkeit des Abschlusses von Abwendungsvereinbarungen nach § 27 Abs. 1 BauGB entfallen. Abgesehen davon, dass sich die Käufer von Wohngebäuden in Milieuschutzgebieten angesichts des nunmehr fehlenden Druckmittels eines gemeindlichen Vorkaufs nicht mehr veranlasst sehen werden, Abwendungsvereinbarungen abzuschließen, wäre der Abschluss entsprechender Vereinbarungen in Fällen, in denen aufgrund des Ausschlusstatbestands des § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB kein Vorkaufsrecht ausgeübt werden darf, auch aus rechtlicher Sicht nicht haltbar.

Ist die Ausübung eines Vorkaufsrechts bereits nach § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB ausgeschlossen, kann die öffentliche Verwaltung von den Käufern von Wohngebäuden in Milieuschutzgebieten keine vertraglichen Zugeständnisse verlangen, die der Abwendung einer Vorkaufsrechtsausübung dienen. Würden dennoch entsprechende Vereinbarungen geschlossen, wären diese von vornherein als unwirksam anzusehen, da es der Verwaltung nicht zusteht, hoheitliches Handeln von unzulässigen Gegenleistungen des Bürgers abhängig zu machen.

Nichtigkeit bereits geschlossener Abwendungsvereinbarungen

Nach der Entscheidung des BVerwG dürften auch bereits geschlossene Abwendungsvereinbarungen als nichtig anzusehen sein, da auch sie unter der falschen Prämisse geschlossen wurden, die Ausübung eines Vorkaufsrechts an dem jeweiligen Grundstück sei rechtlich zulässig.

Es bleibt allerdings abzuwarten, wie sich die Berliner Bezirksämter zu der Frage der Nichtigkeit bereits geschlossener Abwendungsvereinbarungen positionieren werden. Vieles spricht dafür, dass sie sich weiterhin auf die Vereinbarungen stützen werden. Aller Voraussicht nach wird es deshalb auch insoweit einer weiteren gerichtlichen Klärung bedürfen.

Autor/in
Bernhard Burkert, LL.M. (Stellenbosch)

Bernhard Burkert, LL.M. (Stellenbosch)
Counsel
Berlin
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