03.02.2020
Markus Heins / Kata Viktoria Éles
Die zahlreichen grenzüberschreitenden Rechtsverletzungen im Internet, sei es die illegale Abrufbarkeit von Kinofilmen oder Livestreams von Sportveranstaltungen, stellen die Rechteinhaber immer wieder vor große Probleme. Effiziente Maßnahmen gegen die beteiligten Provider erfordern viel Durchhaltevermögen und gemeinsame Anstrengungen. Vor allem der hauptverantwortliche Rechtsverletzer als Content-Provider, aber auch die Plattformanbieter als Host-Provider, befinden sich meist im Ausland und sind für die Rechteinhaber kaum zu erreichen. Die Identität der Rechtsverletzer aufzudecken, geschweige denn diese in Anspruch nehmen zu können, stellt dabei eine nahezu unlösbare Herausforderung dar. Dies gilt jedoch nicht für die Internetanbieter als sog. Access-Provider. Diese sind häufig lokal erreichbar, allerdings ist der Prozess gegen diese langwierig und komplex sowie – je nach Rechtsordnung – unterschiedlich durchsetzbar. Da der Anspruch gegen die Access-Provider häufig die einzige Möglichkeit darstellt, Rechtsverletzungen effektiv zu unterbinden, ist das Vorgehen gegen sie meist der letzte Ausweg. In diesem Beitrag zeigen wir die unterschiedlichen Vorgehensweisen und Voraussetzungen der Providerhaftung in Deutschland und geben einen Überblick über das IP-Blocking in Südostasien.
Der vorrangige Weg, soweit der ursprüngliche Rechtsverletzer nicht erreichbar ist, führt häufig zunächst über den Plattformanbieter als Host-Provider. Host-Provider sind die Anbieter, die hauptsächlich fremde Inhalte auf ihren Servern speichern und bereitstellen, § 10 Telemediengesetz („TMG“), wie etwa YouTube oder Facebook. Für sie besteht im Wege der Störerhaftung die Pflicht, nachdem sie auf eine Rechtsverletzung hingewiesen wurden, die entsprechenden Inhalte von der Plattform zu entfernen (notice-and-takedown). Die Störerhaftung wird richterrechtlich aus einer Analogie zu dem Anspruch aus § 1004 BGB abgeleitet, der im Bereich der Immaterialgüterrechte, wie etwa Urheberrechten, Anwendung findet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung als Störer in Anspruch genommen werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt. Was für Plattformanbieter, die Nutzern ermöglichen Inhalte bereitzustellen, ohne weiteres der Fall ist.
Das Vorgehen gegen die Host-Provider stellt für Rechteinhaber meist die effektivere Rechtsschutzmöglichkeit dar, da sie nicht gegen eine Vielzahl einzelner Rechtsverletzer vorgehen müssen. In der Regel muss der Plattformanbieter ferner dafür sorgen, dass sinngleiche Rechtsverletzungen künftig nicht erneut hochgeladen werden (notice-and-staydown). Eine dahingehende Pflicht, sämtliche Inhalte proaktiv bereits beim Upload auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen, leitet sich daraus jedoch nicht ab. Die Einführung derartiger Kontrollpflichten mit Hilfe von Upload-Filtern, wird jedoch im Rahmen der Umsetzung des Artikel 17 der neuen Urheberrechtsrichtlinie (Richtlinie EU 2019/790 – „DSM-Richtlinie“) erwartet (zum Hintergrund bereits dieser Blogbeitrag).
Zielführender und unter Umständen sogar effektiver ist der kollaborative Ansatz: hierbei arbeiten der Rechteinhaber und der Host-Provider bei der Rechtsverfolgung auf der Plattform zusammen. Beispielsweise könnte der Plattformanbieter dem Rechteinhaber selbst die Möglichkeit geben, die Löschung rechtsverletzender Inhalte vorzunehmen, etwa über eine direkt API zur Plattform. Dieser Ansatz hängt allerdings stark von der Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft des jeweiligen Plattformanbieters ab. Da sie letztlich jedoch auch ein Eigeninteresse daran haben (müssten), illegale Inhalte von ihrer Plattform zeitnah zu entfernen, könnte dieser Ansatz den Plattformanbieter bei der eigenen Compliance helfen.
Da allerdings die Host-Provider häufig ebenfalls im Ausland sitzen und der Zugriff auf diese rechtlich gleichfalls schwierig ist, erscheint das Vorgehen gegen die Access-Provider meist die letzte Alternative zu sein. Bei diesen handelt es sich um Diensteanbieter, die fremde Informationen in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder den Zugang zur Nutzung dieser Informationen vermitteln, § 8 TMG. Zu diesen Diensteanbietern zählen einerseits die klassischen Telekommunikationsanbieter, die den Zugang zum Internet vermitteln. Andererseits aber auch einfache WLAN-Betreiber, unabhängig davon, ob sie gewerblich oder privat, unentgeltlich oder entgeltlich tätig sind. Entscheidend ist allein, dass ein Zugang zur Nutzung von fremden Informationen vermittelt wird.
Der europäische Gesetzgeber sieht einen Anspruch gegen Zugangsvermittler schon seit langem gesetzlich vor (Art. 8 Abs. 3 der RL 2001/29/EG bzw. Art. 11 S. 3 der RL 2004/48/EG). Dagegen war aus Sicht des deutschen Gesetzgebers aufgrund der Regelung des § 97 Urheberrechtsgesetz i.V.m. mit der Störerhaftung kein gesonderte Gesetzgebungsbedarf für die Umsetzung der Ansprüche aus den Richtlinien vorhanden. Konsequenterweise wendete der Bundesgerichtshofs (BGH) die Störerhaftung ebenfalls auf Access-Provider an. Aufgrund der fehlenden direkten Verantwortlichkeit waren die Anforderung an eine entsprechende Haftung jedoch sehr streng und in der Regel subsidiär.
Durch das dritte Änderungsgesetz zum TMG vom 13.10.2017 wurde jedoch in § 8 Abs. 1 S. 2 TMG ein Privilegierung geschaffen, die Unterlassungsansprüche gegen Access-Provider – und somit auch die Störerhaftung – grundsätzlich ausschließt. Um den Anforderungen der europäischen Richtlinien gerecht zu werden, die einen entsprechenden Anspruch gegen Zugangsvermittler zwingend vorsehen, hat der deutsche Gesetzgeber allerdings den neuen Sperranspruch in § 7 Abs. 4 TMG geschaffen. Dadurch soll nicht mehr an „die von Einzelfällen geprägte und daher als unübersichtlich und unvorhersehbar empfundene Rechtsprechung zur Störerhaftung“ angeknüpft werden müssen. Der Anspruch nach § 7 Abs. 4 TMG ist auf die Sperrung von Informationen gerichtet, gilt jedoch ausweislich des Wortlautes nur für Diensteanbieter, die Nutzern einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk, sprich über einen WLAN-Router zur Verfügung stellen. Daher sind dem Wortlaut nach sämtliche klassischen Telekommunikationsanbieter ausgeschlossen. Dies hätte jedoch eine Haftungslücke zur Folge, da für Rechteinhaber weder die Möglichkeit besteht, über den neuen Sperranspruch, noch im Wege der Störerhaftung gegen die klassischen Access-Provider vorzugehen.
Daher stellte der BGH in seiner „Dead Island“ Entscheidung vom 26.07.2018 (Az.: I ZR 64/17) fest, dass der Anspruch unionsrechtskonform dahingehend fortzubilden sei, dass er in analoger Anwendung ebenfalls gegen Betreiber drahtgebundener Internetzugänge geltend gemacht werden könne. Mithin auch gegen Telekommunikationsunternehmen als klassische Access-Provider. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu einem Sperranspruch nach § 7 Abs. 4 TMG gegen ein Telekommunikationsunternehmen existiert bislang jedoch noch nicht
Letztlich können die Maßstäbe, die der BGH im Wege der Störerhaftung entwickelt hat, größtenteils auch auf den neuen Sperranspruch übertragen werden. Denn auch bei der Störerhaftung musste insbesondere eine umfangreiche Interessen- und Güterabwägung vorgenommen werden. Insofern ergeben sich die folgenden Voraussetzungen:
Zunächst muss eine Verletzung eines Rechts am geistigen Eigentum eingetreten sein, wie etwa die Verletzung von Urheberrechten. Das bedeutet, dass die Rechtsverletzung bereits tatsächlich eingetreten sein muss, mit der Folge, dass kein vorbeugender Sperranspruch geltend gemacht werden kann. Darüber hinaus muss ein Telemediendienst im Sinne des TMG in Anspruch genommen worden sein, um die Rechtsverletzung zu begehen.
Weiterhin ist es erforderlich, dass der Inhaber des verletzten Rechts zunächst versuchen muss, gegen die vorrangig Verantwortlichen vorzugehen, da diese wesentlich näher an der Rechtsverletzung stehen. Dies entspricht vor allem dem Grad der Verantwortlichkeit für die Rechtsverletzung. Dazu gehört auch das Ergreifen von Maßnahmen zur Aufdeckung der Identität, wie etwa die Einschaltung einer staatlichen Ermittlungsbehörde im Wege der Strafanzeige oder private Ermittlungen, zum Beispiel durch die Beauftragung eines Detektivs. Erst wenn keine Möglichkeit für den Rechteinhaber besteht oder zumindest unmöglich erscheint, andere Provider in Anspruch zu nehmen, kann in der Regel der Sperranspruch gegen den Access-Provider geltend gemacht werden. Jedenfalls müssen die erfolglos ergriffenen Maßnahmen im Prozess substantiiert dargelegt werden.
Die Entscheidung, ob ein Sperranspruch besteht, hängt maßgeblich von einer Prüfung im Einzelfall ab, sodass sich pauschale Aussagen verbieten. Im Rahmen der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit muss daher eine umfangreiche Interessenabwägung vorgenommen werden. Dabei müssen die Grundrechte des Rechteinhabers, des Access-Providers aber auch der Internetnutzer Berücksichtigung finden. Auf Seiten des Access-Providers muss beispielsweise Art und Umfang des vom Zugangsvermittlers aufzubringenden administrativen, technischen und finanziellen Aufwands für die Durchsetzung der Sperranordnung beachtet werden. Auf Seiten der Internetnutzer muss die Informationsfreiheit berücksichtigt werden, denn Nutzern soll nicht die Möglichkeit genommen werden, rechtmäßigen Zugang zu Informationen zu erlangen (Problem des „Overblocking“).
Ferner spielt eine wichtige Rolle, in welchem (quantitativen) Verhältnis rechtmäßige und rechtswidrige Inhalte auf der konkreten Plattform stehen. Dies bedeutet, dass eine Sperrung nicht nur dann zulässig ist, wenn ausschließlich rechtswidrige Inhalte auf der Website bereitgehalten werden – denn ansonsten könnte sich der Rechtsverletzer hinter „einem“ rechtmäßigen Inhalt verstecken. Dennoch muss die Anzahl der rechtswidrigen Inhalte diejenigen der rechtmäßigen Inhalte deutlich übersteigen.
Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/12202 , S. 12) handelt es sich bei dem Anspruch nach § 7 Abs. 4 TMG nicht um einen Unterlassungsanspruch (wie bei der Störerhaftung), sondern um einen Anspruch, der auf ein aktives Tun gerichtet ist. Die Sperrmaßnahmen müssen – anders als gegen den Host-Provider – nicht werkbezogen, sondern können portalbezogen sein. Die Gesetzesbegründung nennt als beispielhafte Maßnahmen die Sperrung bestimmter Ports auf Peer-to-Peer-Netzwerke oder eine Datenmengenbegrenzung. Zu weiteren, denkbaren Sperrmaßnahmen zählen DNS-Sperren, die verhindern, dass die angeforderte Domain in die dazugehörige IP-Adresse übersetzt werden kann sowie URL-Sperren oder das IP-Blocking.
Wird der Sperranspruch nicht als Unterlassungsanspruch eingeordnet, hätte dies zur Folge, dass die Auswahl der zu ergreifenden Maßnahme im Rahmen des § 7 Abs. 4 TMG – im Gegensatz zur Störerhaftung – beim Antragssteller liegt; dies impliziert auch der BGH in seiner Entscheidung (BGH v. 26.07.2018 – I ZR 64/17, Rn. 57). Das deutet darauf hin, dass bei dem Klageantrag des auf aktives Tun gerichteten Sperranspruchs die konkrete Sperrmaßnahme durch den Kläger benannt werden muss. Hierbei sollte ebenso berücksichtigt werden, dass DNS-Sperren durch bestimmte Maßnahmen wie dem DNS over HTTPS (DoH) umgangen werden können.
Das Erfordernis eines effizienten Rechtsschutzes gegen Verletzungen und insbesondere einer Möglichkeit, Access-Provider zum Sperren von Webseiten zu verpflichten, besteht naturgemäß auch im Ausland, insbesondere im asiatischen Raum. Dabei besteht in Ländern wie Singapur, Malaysia, Thailand, China und Indonesien grundsätzlich auch die Möglichkeit des IP-Blockings:
In Indonesien muss beispielsweise eine Beschwerde bei der zuständigen Behörde („Ministry of Communication and Informatics“) per Brief oder E-Mail eingereicht werden, welche die Verletzung des Rechteinhabers umschreibt. Ob die Webseite schließlich gesperrt wird, sodass indonesische IP-Adressen nicht mehr auf die Webseite zugreifen können, entscheidet dabei der Minister.
In Singapur ist der Prozess etwas länger. Zunächst muss für eine Sperranordnung ein Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt werden („Intellectual Property Office of Singapore“). Dabei sind alle maßgeblichen Informationen zusammenzutragen. Darüber hinaus muss derjenige, bei dem die Rechtsverletzung vermutet wird, kontaktiert und eine Frist zur Löschung der Inhalte gesetzt werden. Im nächsten Schritt muss der High Court of Singapore angerufen werden; denn nur dieser kann eine Sperrverfügung erlassen, welche die Verpflichtung der Access-Provider umfasst, geeignete Sperrmaßnahmen zu treffen.
Nicht nur die Vorgehensweise, sondern auch die Dauer des IP-Blockings variiert in den südostasiatischen Ländern sehr stark. In Indonesien handelt es sich auch ohne gerichtliches Verfahren um eine permanente Sperrung; in Malaysia hingegen dauert die Sperrung lediglich 5 Tage, soweit die Sperranordnung nicht durch einen Gerichtsbeschluss verlängert wird. In Singapur gibt es keine starren Fristen, vielmehr kann der High Court die Sperrverfügung aufheben, soweit kein Anlass zur Sperrung mehr besteht.
Mehr Informationen zum IP-Blocking in Südostasien haben wir in der folgenden Übersicht grafisch aufbereitet:
Immer häufiger haben Rechteinhaber mit Rechtsverletzungen im Internet zu kämpfen. Daher kommt effizienten Maßnahmen gegen die unterschiedlichen Provider, insbesondere auch gegen die Access-Provider, immer größere Bedeutung zu; denn diese sind für Rechteinhaber regelmäßig die einzigen, die rechtlich erreicht werden können. Damit die Haftung der Access-Provider nicht ausufert, hat sich der deutsche Gesetzgeber mit dem dritten Änderungsgesetz zum TMG für eine Privilegierung der Access-Provider in § 8 Abs. 1 S. 2 TMG entschieden. Um die Rechteinhaber nicht rechtsschutzlos zu lassen, wurde ein Anspruch in § 7 Abs. 4 TMG geschaffen, der auf die Sperrung von Informationen gerichtet ist und die Haftungsprivilegierung teilweise kompensieren soll. Durch eine analoge Anwendung wird Rechteinhabern die Möglichkeit gegeben, den Sperranspruch gegen „klassische“ Access-Provider zu richten – und nicht nur gegen Diensteanbieter, die einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk zur Verfügung stellen, wie der Wortlaut es eigentlich vorsieht.
Aufgrund der stetig fortschreitenden Digitalisierung und Globalisierung kommt es in der Regel zu grenzüberschreitenden Rechtsverletzungen, sodass es wichtig ist, auch in anderen Ländern rechtliche Schutzmöglichkeiten zu haben. So ist in südostasiatischen Ländern wie Singapur, Malaysia oder China IP-Blocking ebenfalls möglich. Dazu müssen regelmäßig die zuständigen Behörden kontaktiert und im Anschluss ein Gerichtsverfahren eingeleitet werden.