26.05.2023

DNS-Sperre – ein praxistaugliches Verteidigungsmittel im Kampf gegen Verletzung von Urheberrechten?

Hintergrund

Inhaber von Urheberrechten sehen sich oftmals hohen Herausforderungen ausgesetzt, sofern sie gegen Webseiten-Betreiber vorgehen wollen, die rechtswidrig Inhalte ins Netz stellen. Grund ist, dass die verantwortlichen Betreiber häufig unerreichbar im Ausland sitzen oder namentlich nicht bekannt sind. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, an „greifbare“ Dritte, wie etwa den Host-Provider oder den Access-Provider heranzutreten, um die Rechtsverletzung zu unterbinden. Das Gesetz sieht als Instrument die Domain-Name-System-Sperre (DNS-Sperre) gemäß § 7 Abs. 4 Telemediengesetz (TMG) vor.

Funktionalität einer DNS-Sperre

Die DNS-Sperre knüpft an das Domain-Name-System an, das den direkten Datenverkehr im Internet unterstützt, indem es Domainnamen mit Webservern verbindet. Im Wesentlichen übersetzt DNS eine benutzerfreundliche Domainanfrage – wie z. B. www.luther-lawfirm.com – mit einer computerfreundlichen Server IP-Adresse – wie z. B. 10987654321. Aufgrund dieser Funktion wird DNS oftmals auch als „Telefonbuch des Internets“ bezeichnet. Betreiber von DNS-Servern können als Access-Provider für bestimmte Domains die Auskunft sperren. Infolgedessen wird dem Internetznutzer dann keine oder eine andere Website mit der Nachricht, dass die aufgerufene Website nicht mehr verfügbar sei, angezeigt.

Vorgaben an eine DNS-Sperre nach § 7 Abs. 4 TMG

Bereits 2015 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil zur „Störerhaftung von Access-Providern“ ausgeführt, dass Access-Provider erst in Anspruch genommen werden können, wenn eine Inanspruchnahme der näher an der Rechtsgutverletzung stehenden Content- und Host-Provider scheitere oder keine Erfolgsaussicht habe. Mithin haftet der Access-Provider gegenüber dem tatnäheren Beteiligten ausschließlich subsidiär. Das durch den BGH entwickelte „Subsidiaritätserfordernis“ fand 2017 auch Eingang in § 7 Abs. 4 TMG: Demnach kann ein Access-Provider erst in Anspruch genommen werden, wenn für den Rechtsinhaber

„keine andere Möglichkeit [besteht,] der Verletzung des Rechts abzuhelfen“.

Vor dem Hintergrund der unbestimmten Formulierung, die zur Interpretation einlädt, stellt sich die Frage, ob die DNS-Sperre zur Abwendung von Urheberrechtsverletzungen in der Praxis tatsächlich ein scharfes Schwert darstellt oder letztlich ein Verteidigungsmittel mit stumpfer Klinge ist.

Die BGH Entscheidung vom 13.10.2022

Mit Urteil vom 13.10.2022 (Az. I ZR 11/21) hat der BGH die Voraussetzungen für eine DNS-Sperre, insbesondere unter Berücksichtigung des Subsidiaritätserfordernisses, näher konkretisiert:

1. Der Sachverhalt

Die Klägerinnen, bestehend aus mehreren Wissenschaftsverlagen, beantragten einen Telekommunikationsdienstleister als Access-Provider zu verpflichten, eine DNS-Sperre für bestimmte Domainnamen (wie etwa „LibGen“ und „Sci-Hub“) einzurichten. Die Webseiten vertrieben wissenschaftliche Artikel und Bücher, an denen die Klägerinnen ausschließliche Nutzungsrechte hatten. Die der Klage vorangegangenen und durch die Klägerinnen durchgeführten Ermittlungen verliefen größtenteils erfolglos. Ein in Schweden ansässiger Host-Provider wurde außergerichtlich abgemahnt, reagierte jedoch nicht auf Notifizierungs- und Abmahnschreiben.

2. ​​​​​​​Die Begründung

Der BGH sah das Subsidiaritätserfordernis vorliegend nicht als erfüllt an: Weder sind die Klägerinnen gegen den schwedischen Host-Provider im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes vorgegangen, noch haben sie eine entsprechende Erfolglosigkeit dargelegt. Vorliegend wäre es den Klägerinnen zumindest zumutbar und geboten gewesen, vor einem deutschen Gericht im Wege der einstweiligen Verfügung einen Auskunftsanspruch gegen den schwedischen Host-Provider geltend zu machen, um an weitere Erkenntnisse bzw. Ermittlungsansätze über den Rechtsverletzter zu gelangen. Ein Auskunftsanspruch gem. § 101 Urheberrechtsgesetz (UrhG) ist in Fällen von offensichtlicher Rechtsverletzung im einstweiligen Rechtsschutz ausnahmsweise zulässig, vgl. § 101 Abs. 7 UrhG.

​​​​​​​a) Konkretisierung des Subsidiaritätserfordernisses

Nach dem BGH muss der Rechtsinhaber zunächst alle zumutbaren Maßnahmengegen den Betreiber als unmittelbarer Rechtsverletzter oder/und den Host-Provider, der durch die Erbringung einer Dienstleistung zur Rechtsverletzung beiträgt und daher näher an der Rechtsverletzung steht, ausschöpfen. Der Erschöpfung zumutbarer Maßnahmen steht es gleich, wenn diesen im Vorhinein jede Erfolgsaussicht fehlt.

   i​​​​​​​Zumutbare Maßnahmen

Welche Maßnahmen für den Rechtsinhaber zumutbar sind, ist nach dem BGH eine Frage des Einzelfalls. Im Regelfall gehören dazu – jeweils im zumutbaren Umfang –:

  • eigene Nachforschungen zur Ermittlung von vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten, wie Betreiber und Host-Provider. Dies umfasst auch die Einschaltung staatlicher Ermittlungsbehörden im Wege der Strafanzeige oder die Vornahme privater Ermittlungen durch Detektive oder darauf spezialisierte Unternehmen, soweit wirtschaftliche Ressourcen vorhanden sind;
  • außergerichtliche Inanspruchnahmen bekannter Betreiber und Host-Provider auf Entfernung der urheberrechtsverletzenden Inhalte;
  • gerichtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen innerhalb der Europäischen Union ansässige Betreiber und Host-Provider. Bei Staaten außerhalb der Europäischen Union muss das Vorhandensein gleichwertiger Rechtsschutzmöglichkeiten im Einzelfall geprüft werden. Wobei an die vom Antragsteller zu erbringende Darlegungslast keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen.

Die Grenze des Unzumutbaren ist da erreicht, wo weitere Maßnahmen zu einer untragbaren Verzögerung der Anspruchsdurchsetzung führen würden. Dies sei etwa bei der Durchführung eines Hauptsacheverfahrens über mehrere Instanzen der Fall.

​​​​​​​   ​​​​​​​ii) Fehlende Erfolgsaussicht

Bzgl. der Frage, ob den zumutbaren Maßnahmen im Vorhinein jede Erfolgsaussicht fehlt, ist der Rechtsinhaber als Antragsteller grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig.

Die Berufung der Revision auf eine tatsächliche Vermutung aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung erteilte der BGH eine Absage: Die Revision hatte hierzu vorgetragen, dass sich die Betreiber „strukturell urheberrechtsverletzender Internetseiten durch anonymisierende Schutzmaßnahmen gegen die Inanspruchnahme absichern würden, sodass Maßnahmen – wie etwa in Form von privaten Ermittlungen und der Durchsetzung von Auskunftsansprüchen – von Anfang an jede Erfolgsaussicht fehlten. Der BGH lehnte die Annahme einer tatsächlichen Vermutung ab, da sich an den Begriff „strukturell urheberrechtsverletzender Internetseiten“ kein Satz der alltäglichen Lebenserfahrung knüpfen lasse, der eine entsprechende Schlussfolgerung zulasse. Dies folge insbesondere aus der Konturlosigkeit des Begriffs „strukturell urheberrechtsverletzender Internetseiten“. Auch stellte der BGH in Frage, ob die Anknüpfung an eine tatsächliche Vermutung überhaupt zu einer Erleichterung der Anspruchsdurchsetzung führen könne. Dem stehe der zu erwartende umfangreiche Vortrag zur Darlegung der Tatsache entgegen, dass es sich um eine „strukturell urheberrechtsverletzende Internetseite“ handele.

Allerdings könne sich eine Erfolglosigkeit aus früheren Maßnahmen – wie einem in anderem Zusammenhang durchgeführten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen denselben Host-Provider – ergeben. Offen bleibt dagegen die zeitliche Dimension, innerhalb derer noch von einem Zusammenhang mit vorangegangen Verfahren gegen denselben Host-Provider ausgegangen werden kann.

Unsere Praxishinweise

Das Urteil führt die Rechtsprechungslinie des BGH konsequent und entgegen anderslautenden Stimmen in der Literatur fort: Die DNS-Sperre bleibt das letzte Mittel, um einer Urheberrechtsverletzung abzuhelfen. Der Rechtsinhaber muss zunächst alle zumutbaren Maßnahmen ausschöpfen, bevor er einen Access Provider in Anspruch nehmen kann. Insbesondere sollte zunächst eine einstweilige Verfügung gegen tatnähere Beteiligte angestrengt werden, sofern diese einen Sitz in der EU haben. Dies umfasst auch den Versuch, eine Drittauskunft im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vor einem deutschen Gericht geltend zu machen. Dies dürfte in der Zukunft sicherlich die sachgerechte Vorgehensweise sein. Dabei ist die einstweilige Verfügung rechtzeitig einzuleiten. Andernfalls fehlt es an einem Verfügungsgrund und der zögerliche Rechtsinhaber verliert seinen Anspruch gegen den Access-Provider, da das Subsidiaritätserfordernis nicht mehr eingehalten werden kann. Bei außereuropäischen Sachverhalten muss insbesondere geprüft werden, ob gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen, hierbei müssen insbesondere internationale Abkommen in den Fokus genommen werden.

Fazit

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass eine DNS-Sperre – aufgrund der restriktiven Voraussetzungen – nur als letztes Mittel der Verteidigung in Betracht kommt. Ob dies nun ein Verteidigungsmittel mit scharfer oder stumpfer Klinge ist, hängt vom Einzelfall ab; denn letztlich gilt, dass auch eine mit Erfolg erkämpfte DNS-Sperre nicht unbedingt den erhofften Erfolg bringen wird. Die Schwäche von DNS-Sperren ist, dass sie mehr oder weniger leicht zu umgehen sind. Zum einen bleibt die Website über die Eingabe der IP-Adresse weiterhin aufrufbar. Zum anderen kann der Domain-Name leicht abgeändert werden, sodass die Website über eine Suchmaschine weiterhin auffindbar bleibt. Ferner ist DNS dezentralisiert aufgebaut, sodass Internetnutzer mithilfe einer Konfiguration ihres Routers auch Anfragen an die DNS-Server anderer Betreiber in Drittstaaten senden können. Nicht zuletzt bei lokalen DNS-Sperren bleibt die Möglichkeit der Umgehung durch Nutzung eines VPN-Tunnels.

Autor/in

Dr. Lajana von zur Gathen