04.01.2022

Entscheidung des Obersten Volksgerichts der VR China zur Frage des Auslandsbezugs für die Bestimmung der Wirksamkeit einer Schiedsklausel zu Gunsten einer ausländischen Schiedsinstitution

Hintergrund

Die Schiedsgerichtsbarkeit hat in der Volksrepublik China (VR China) einen deutlich höheren Stellenwert als hierzulande. Für deutsche Unternehmen stellen Schiedsverfahren im Streitfall ohnehin die einzig realistische Chance dar, Ansprüche gegen chinesische Geschäftspartner durchzusetzen. Indes weist das chinesische Schiedsrecht einige Besonderheiten auf. So basiert das chinesische Schiedsgesetz, das 1995 erlassen wurde, nicht auf dem UNCITRAL Model Law. Eine weitere Besonderheit ist, dass das chinesische Schiedsrecht bei in China geführten Verfahren zwei Kategorien unterscheidet, nämlich Verfahren mit und ohne Auslandsbezug. Die Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, da Verfahren ohne Auslandsbezug erheblichen Einschränkungen unterliegen, wie z.B. der zwingenden Anwendung chinesischen Rechts oder der obligatorischen Bezeichnung einer chinesischen Schiedsinstitution. Bei Verträgen mit Auslandsbezug hingegen ist die Wahl eines ausländischen Schiedsorgans erlaubt. Die Herstellung des Auslandsbezugs gestaltet sich in der Praxis häufig schwierig. So können,  wie im Folgenden zu sehen sein wird, auch für deutsche Unternehmen die restriktiven Vorschriften des chinesischen Schiedsgesetzes für inländische Schiedsverfahren Anwendung finden, etwa wenn über Tochterunternehmen in Form von deutsch-chinesische Joint Ventures agiert wird. Diese Anwendbarkeit kann häufig zur Unwirksamkeit einer Schiedsklausel führen, was die Rechtsdurchsetzung in der VR China erschwert.

Justizielle Auslegung des Obersten Volksgerichts der VR China zur Anwendung des chinesischen Zivilprozessgesetzes

Justizielle Interpretationen durch das OVG dienen der Auslegung vorhandener Gesetze und stärken auf diese Weise die einheitliche Rechtsprechung bei den unteren Gerichten. Um festzustellen, wann ein Auslandsbezug einer Streitigkeit vorliegt, hat das Oberste Volksgericht in Art. 522 der im Januar 2015 in Kraft getretenen justiziellen Auslegung zur Anwendung des chinesischen Zivilprozessgesetzes (最高人民法院关于适用〈中华人民共和国民事诉讼法〉的解释) verschiedene Kriterien aufgestellt. Hiernach weist eine Streitigkeit einen Auslandsbezug auf, wenn

  1. mindestens eine der Parteien die ausländische Staatsbürgerschaft hat oder ihren Wohnsitz/Geschäftssitz außerhalb des Hoheitsgebiets der VR China hat,
  2. der Streitgegenstand sich außerhalb von der VR China befindet,
  3. ein die Vertragsbeziehung begründender, modifizierender oder beendender Umstand sich im Ausland ereignet oder
  4. andere Umstände vorliegen, die einen Auslandsbezug rechtfertigen.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das Oberste Volksgericht der VR China hatte sich mit der Frage zu befassen, ob es sich bei der vorgebrachten Streitigkeit um eine auslandsbezogene Streitigkeit handelt, die einer ausländischen Schiedsinstitution unterworfen werden kann.

Das in Hangzhou City (VR China) ansässige chinesisch-ausländische Joint Venture ArcSoft Corporation Limited („ArcSoft“, der Lizenzgeber) und die 100%ig ausländisch investierte Gesellschaft Spreadtrum Communications (Shanghai) Co., Ltd. mit Sitz in der Freihandelszone Shanghai („Spreadtrum“, Lizenznehmer) haben einen Softwarelizenzvertrag geschlossen. Dieser enthielt eine Schiedsklausel, wonach alle Streitigkeiten, die sich im Zusammenhang mit dem Vertrag ergeben, nach der Schiedsordnung des  Singapore International Arbitration Centers (SIAC) entschieden werden sollten.

ArcSoft erhob am 24. Juli 2020 jedoch keine Schiedsklage nach der Schiedsordnung der SIAC, sondern eine Klage vor staatlichen chinesischen Gerichten, nämlich dem Hangzhou Intermediate People’s Court gegen Spreadtrum u.a. auf Erfüllung des Softwarelizenzvertrags. Spreadrum rügte die Zuständigkeit des Gerichts in Hangzhou und argumentierte, die Schiedsklausel zu Gunsten des Singapore Arbitration Centers sei wirksam. Es müsse daher eine Schiedsklage erhoben werden. Der erforderliche Auslandsbezug sei gegeben, da es sich bei den Parteien um ausländisch investierte Gesellschaften handele, der streitgegenständliche Vertrag zudem das überwiegend im Ausland registrierte geistige Eigentum von ArcSoft betreffe, das im Vertrag vorgesehene Lizenzgebiet für die lizensierte Software weltweit ausgerichtet sei  und die mit der Software ausgestatteten Produkte von Spreadtrum im Ausland vertrieben würden.

Am 3. Dezember 2020 erließ das Gericht in Hangzhou ein Urteil, mit dem die Einrede der Unzuständigkeit zurückgewiesen wurde. Das Gericht hielt sich für zuständig und die Schiedsabrede für unwirksam. Unter Zugrundelegung der vom obersten Volksgericht in Art. 522 der justiziellen Auslegung zum Zivilprozessgesetz entwickelten Kriterien zur Feststellung des Auslandsbezugs verneinte das Gericht in Hangzhou den Auslandsbezug und damit die Wirksamkeit der Schiedsklausel zugunsten des Singapore Arbitration Center und argumentierte:

  • bei den ausländisch-investierten Unternehmen handele es sich um in China gegründete, also chinesische Gesellschaften; dass nur eine Partei ihren Sitz in einer Freihandelszone habe, genüge nicht für die Herstellung des Auslandsbezugs,
  • der Vertragsgegenstand habe keinen Auslandsbezug: Die lizensierte Software, für die Spreadtrum Lizenzgebühren zahle, sei in Festlandchina entwickelt worden,
  • der Softwarelizenzvertrag sei in China unterzeichnet und durchgeführt worden. Ein Vertrieb im Ausland habe keinen Einfluss auf die streitgegenständliche Softwarelizensierung zwischen den Parteien.

Am 23. April 2021 bestätigte der Oberste Volksgerichtshof als Berufungsgericht die Entscheidung des Gerichts von Hangzhou. Das Gericht führte ohne nähere Begründung aus, dass insbesondere der die Vertragsbeziehung begründende, modifizierende oder beendende Umstand keinen Auslandsbezug aufweise.

Bewertung und Ausblick

Die Entscheidung macht deutlich, dass die Wirksamkeit einer Schiedsklausel zu Gunsten einer ausländischen Schiedsinstitution bei in China geführten Verfahren davon abhängt, ob die Streitigkeit einen Auslandsbezug hat oder nicht. Dieser Auslandsbezug kann aus Sicht einer ausländischen Partei bisweilen auch überraschend abgelehnt werden. Zwar hat das Oberste Volksgericht hierzu auch im Jahr 2013 Kriterien aufgestellt und zwar in den Interpretations of the Supreme People's Court on Several Issues Concerning Application of the Law of the People's Republic of China on Choice of Law for Foreign-Related Civil Relationships (http://cicc.court.gov.cn/html/1/219/199/201/679.html), auf die überraschenderweise weder das Gericht in Hangzhou noch das Oberste Volksgericht eingegangen sind. Manche der Kriterien sind jedoch vage und gewähren den Gerichten einen beträchtlichen Auslegungsspielraum. Ob die Reform des chinesischen Schiedsgesetzes zu einer schiedsfreundlicheren Auslegung der Gerichte führen wird, bleibt abzuwarten.

Autor/in
Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss

Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss
Partnerin
Berlin, Köln
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Dr. Madeleine Martinek, LL.M., LL.M. oec. (Nanjing)