02.02.2024
Der Begriff „eForms“ bezieht sich auf die neu entwickelten elektronischen Standardformulare, die im Rahmen von EU-weiten Vergabeverfahren verwendet werden, um Informationen bezüglich der Bekanntmachung öffentlicher Aufträge zu übermitteln. Hierbei erfolgt eine Abkehr von den bislang genutzten EU-weit einheitlichen Standardformularen im PDF-Format. Mit den eForms wird eine detaillierte technische Beschreibung der Informationen zum Vergabeverfahren ermöglicht. Der bedeutende Unterschied liegt darin, dass die Formulare nicht mehr aus vordefinierten, allgemeinen Feldern bestehen. Stattdessen setzen sie sich aus den Datenfeldern zusammen, die zum jeweiligen Auftrag erforderlich sind. Auf der Vergabeplattform wird dann anstelle der bisherigen PDF-Datei eine (maschinenlesbare) XML-Datei generiert. Das bedeutet auch, dass sich kein „PDF“ nach der Projektanlage erzeugen lässt, um es ggf. in den Umlauf / zur Zeichnung durch andere Abteilungen zu geben.
Bieter werden sich bei der Auswertung der neuen eForms an die neue Struktur gewöhnen müssen. Die Bekanntmachungen werden länger. 50 PDF-Seiten Bekanntmachungstext sind bei Losvergaben keine Seltenheit. Außerdem finden sich Informationen teilweise über den Bekanntmachungstext verteilt. Beispiel: Die Angabe der zuständigen Vergabekammer versteckt sich zwischen dem Auftraggeber und dem eSender in Abschnitt 8 „Organisationen“. Angaben zum Rechtsschutz finden sich im Abschnitt 5 „Lose“. Wie sich diese neue Struktur auf die Erkennbarkeit von Vergaberechtsverstößen in der Bekanntmachung auswirkt, bleibt abzuwarten. Auftraggeber werden daher gehalten sein, dieses Transparenzdefizit in ihren Vergabeunterlagen auszugleichen, um sich zumindest auf eine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB berufen zu können.
„Ein Binnenmarkt von Daten“. Durch die Einführung der eForms setzt die Kommission grundlegende Prinzipien ihrer „eGovernment-Strategie“ in die Praxis um. Diese Prinzipien bilden die essenzielle Grundlage für eine effektive Digitalisierung von Prozessen und ermöglichen die kontinuierliche Verbesserung der Qualität sowie die Erschließung der Nutzungsmöglichkeiten und Auswertung der laufend anfallenden Prozessdaten. Von einer IT-Perspektive aus betrachtet, markiert die Einführung dieser Durchführungsverordnung für den Bereich des öffentlichen Einkaufs einen fundamentalen Paradigmenwechsel seitens der Kommission.
Die Rechtsgrundlage für die Verwendung der eForms ist die Durchführungsverordnung (EU) 2019/1780 der Europäischen Kommission vom 23. September 2019. Diese Verordnung tritt an die Stelle der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986, die zuvor als Referenz für die Standardformulare im TED-Meldesystem des Amts für Veröffentlichungen der Europäischen Union diente und für die Veröffentlichung von Bekanntmachungen in Vergabeverfahren oberhalb der EU- Schwellenwerte festgelegt wurde. Die Verwendung ist ab dem 25. Oktober 2023 obligatorisch. Auf nationaler Ebene ist § 10a VGV einschlägig.
Künftig erfolgt die Übermittlung von Bekanntmachungen nicht unmittelbar an Tenders Electronic Daily (TED) des Amts für Veröffentlichungen der EU, sondern zentral über den sog. Datenservice Öffentlicher Einkauf. Der Datenservice Öffentlicher Einkauf ist beim Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern eingerichtet. Die Bekanntmachungen werden im Bekanntmachungsservice (BKMS) veröffentlicht. Dieser Schritt erfüllt gemäß der Verordnung eine wesentliche technische Aufgabe, nämlich die reibungslose Übersetzung natio- naler Besonderheiten in europäische Standards. Bestehende Vergabeplattformen bleiben erhalten und werden nicht ersetzt.
Der Datenservice Öffentlicher Einkauf besteht aus drei Komponenten:
Unter anderem ist im Cosixnex-basierten Oberpunkt „Verwaltungsangaben“ innerhalb des Gliederungspunktes „Nachforderung“ eine Auswahl zu „Angaben zu fehlenden Unterlagen“ obligatorisch, obwohl die o.g. Durchführungsverordnung dies in dieser Form nicht herzugeben scheint (vgl. ID-BT-771, Spalte 16, Klassifizierung „O“ [Optional], Tabelle 2 im Anhang der o.g. Durchführungsverordnung). Ausgewählt werden muss zwischen folgenden Voreinstellungen:
Keine dieser drei Voreinstellungen erscheint uneingeschränkt passend. Um Unsicherheiten bei der Nachforderung von Unterlagen, resultierend aus den gesetzlichen Regelungen der VgV, der VOB/A-EU und der SektVO sowie aus der Rechtsprechung, präventiv begegnen zu können als auch aus taktischen Erwägungen, empfiehlt sich folgendes Vorgehen:
a. Von den drei auf den Cosinex-basierten E-Vergabeplattformen angebotenen Voreinstellungen wird die erste Variante ausgewählt.
b. In das weitere Eingabefeld „weitere Informationen“ werden klarstellende Ausführungen aufgenommen, angelehnt an die einschlägigen gesetzlichen Regelungen sowie der bisher ergangenen Rechtsprechung zu der Nachforderung von Unterlagen (Beispiel Anwendungsbereich VgV (Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, angelehnt an die Regelungen des § 56 Abs. 2 und Abs. 4 VgV):
"Klarstellung:
Mit dem zuvorstehenden Satz "Fehlende Bieterunterlagen können nach Fristablauf nicht nachgereicht werden" ist gemeint, dass der Auftraggeber bestimmte "fehlende Bieterunterlagen" nicht nachfordern wird, wenn diese mit dem Teilnahmeantrag bzw. mit dem jeweiligen Angebot gefordert worden sind und fehlen.
Der öffentliche Auftraggeber kann den Bewerber oder Bieter unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung auffordern, fehlende oder unvollständige unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise, nachzureichen oder zu vervollständigen oder fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV).
Die Nachforderung von leistungsbezogenen Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen, ist ausgeschlossen. Dies gilt nicht für Preisangaben, wenn es sich um unwesentliche Einzelpositionen handelt, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen (§ 56 Abs. 3 VgV).“
Dr. Stefan Mager
Partner
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Ervin Cerimovic
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