02.07.2024

Kau(f)en Kenner noch Katjes ? – Zur Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“

Hintergrund

Die Vermarktung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität ist für die Kaufentscheidung der Verbraucher angesichts des zunehmenden Umweltbewusstseins von erheblicher Bedeutung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 27. Juni 2024 nun eine erste höchstrichterliche Entscheidung zur Zulässigkeit der Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ getroffen (Az.: I ZR 98/23). Obwohl die Begründung des Urteils noch nicht vorliegt, lässt sich schon jetzt ausmachen, dass nach der Rechtsprechung nun weitreichende Verpflichtungen auf die Unternehmen zukommen, wenn sie Konsumgüterartikel als „klimaneutral“ oder auch „umweltfreundlich“ vermarkten wollen.

Vor dem BGH hatte die Frankfurter Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs geklagt. Sie hielt die folgende Werbung des drittgrößten deutschen Süßwarenunternehmens Katjes in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche für irreführend: „Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral." Daneben war ein Logo abgedruckt, das den Begriff „klimaneutral" zeigt und auf die Internetseite einer Agentur hinweist (www.climatepartner.com). Tatsächlich lief der Herstellungsprozess bei Katjes nämlich nicht klimaneutral – im Sinne von CO2-neutral – ab. Katjes erbrachte vielmehr über die Agentur Ausgleichszahlungen für Klimaschutzprojekte. Katjes hatte aber nicht auf der Produktverpackung selbst, sondern in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche geworben.

Inhalt der Entscheidung

Die entscheidende Frage war also, ob die angesprochenen Verkehrskreise die Aussage „Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral." so verstehen, dass die Produktion selbst klimaneutral ablaufe. Die beiden Vorinstanzen (LG Kleve und OLG Düsseldorf) waren sicher, dass die Leser der Fachzeitung den Begriff „klimaneutral" im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen verstünden. Den Lesern sei bekannt, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne. Die erforderliche Aufklärung über Art und Umfang etwaiger Kompensationen lasse sich unproblematisch über die Internetseite des Kooperationspartners erlangen, die in der Werbeanzeige angegeben sei und mittels eines in der Werbeanzeige abgedruckten QR-Code aufgerufen werden könne. Sie wiesen die Klage bzw. Berufung der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs daher folgerichtig ab.

Anders nun der BGH: Auch ohne dass die Begründung der Entscheidung vorliegt, ist bereits bekannt, dass der BGH den Begriff „klimaneutral“ als objektiv mehrdeutig (i. S. d. § 5 Abs. 1 UWG) einstuft. Einen Unterschied zwischen den Lesern der Fachzeitung und Verbrauchern sieht der BGH nicht. Darauf aufbauend stellt er die klima- und wohl auch umweltbezogene Werbung der gesundheitsbezogenen Werbung gleich, da eine Irreführungsgefahr besonders groß ist und ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen besteht“. Damit gilt das sog. Strengeprinzip: Die Werbende darf praktisch nur mit – auf wissenschaftlicher Basis – nachweisbaren Aussagen werben, die ihrerseits an Ort und Stelle selbst erklärt und begründet werden müssen. Ein QR-Code oder Link auf eine Webseite ist nicht ausreichend. Fehlender Platz, z. B. auf einer Tüte Katjes, ist kein Grund, diesen Anforderungen nicht nachzukommen. Von Bedeutung ist auch, dass der BGH in diesem Zusammenhang feststellt, dass „die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist“.

Auswirkungen

Die Klimaneutralität eines Produkts kann in Zukunft nur mit Aussagen beworben werden, wenn sie gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Die Unternehmen müssen ihr Marketing also auf wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse stützen können. Im Ergebnis bedeutet das auch, dass schon eine fachlich umstrittenen Meinung nur dann beworben werden darf, wenn die anders lautenden Forschungsergebnisse erwähnt werden. All diese Informationen müssen an Ort und Stelle selbst vollständig erklärt und begründet werden; ein QR-Code oder Link auf eine Webseite ist nicht ausreichend. Das passt wohl nur noch auf eine XL-Packung Katjes.

Aber lohnt es sich überhaupt, für ein Unternehmen viel Aufwand in die Umsetzung der Anforderungen an eine zulässige Werbung mit der Aussage „klimaneutral“ zu investieren? Die EU hat am 20. Februar 2024 die Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel (Empowering consumers for the green transition (EmpCo)) in Kraft gesetzt. Deutschland muss nun bis März 2026 die Richtline umsetzen (die entsprechenden Neuregelungen im Rahmen des UWG werden dann innerhalb von weiteren sechs Monaten Anwendung finden). Im Ergebnis muss der deutsche Gesetzgeber sog. Per-se-Verbote aufnehmen, die per se als unlauter gelten, ohne dass die Gerichte die Zulässigkeit im konkreten Fall prüfen werden. Damit wird es den Unternehmen verboten,

  • unternehmenseigene Nachhaltigkeitssiegel zu verwenden (es sei denn eine sehr aufwändiges Zertifizierungssystem wurde durchlaufen oder das Siegel wird von staatlichen Stellen festgesetzt – z. B. Werbung mit der anerkannten hervorragenden Umweltleistung von Elektrogeräten als „energieeffizient“, wenn die Energieklasse A erreicht wird);
  • allgemeine Umweltaussagen ohne wissenschaftliche Nachweise zu verwenden;
  • zu behaupten, dass ein Produkt aufgrund von Kompensationsmaßnahmen eine neutrale, reduzierte oder positive Auswirkungen auf Treibhausgasemissionen hat. Und damit schließt sich der Kreis: Aussagen wie „klimaneutral“, „CO2-neutral“, „CO-kompensiert“ oder der „reduzierter CO2-Fußabdruck“ sind nicht mehr zulässig;
  • auf künftige Umweltleistungen hinzuweisen mit einer Aussage wie „klimaneutral bis 2030“, wenn das Unternehmen keine klaren, objektiven, öffentlich zugänglichen und überprüfbare Verpflichtungen getroffen hat, die in einem detaillierten und realistischen Umsetzungsplan dargelegt sind, der messbare und zeitlich festgelegte Zielvorgaben aufweist und regelmäßig von einem unabhängigen Sachverständigen überprüft wird.

Und die EU arbeitet bereits an der nächsten Richtlinie: Die Richtlinie über Umweltaussagen (Green Claims Directive (GCD)) soll unionsweit spezifischere Vorgaben für die Begründung, Nachprüfbarkeit und Kommunikation von ausdrücklichen Umweltaussagen festschreiben.

Fazit

Im Ergebnis können Unternehmen ihre Produkte auf dem deutschen Markt grundsätzlich noch bis September 2026 mit einer tatsächlich nachweisbaren Klimaneutralität vermarkten, solange die Informationen für die Behauptung transparent auf dem Produkt aufgeführt werden. Aber der Teufel steckt im Detail. Daher ist bei der konkreten Ausgestaltung der Vermarktung enorme Vorsicht geboten und sicherzustellen, dass die strikten Maßstäbe erfüllt werden.

Autor/in
Stefanie Kandzia, LL.M.

Stefanie Kandzia, LL.M.
Senior Associate
Hamburg
stefanie.kandzia@luther-lawfirm.com
+49 40 18067 24665

Christina Rygula, LL.M. (Dublin)

Christina Rygula, LL.M. (Dublin)
Senior Associate
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