19.01.2022
Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Umweltstandards sind in aller Munde, und auch an Initiativen von Unternehmen zur gemeinsamen Erreichung solcher Ziele mangelt es nicht. Handelt es sich um Wettbewerber, stoßen sie dabei schnell an die Grenzen des Kartellverbots, das wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen verbietet. Mehrere europäische Kartellbehörden haben sich hierzu in den letzten Monaten positioniert, meist um die Grenzen des Kartellverbots zu lockern oder den Unternehmen zumindest Leitlinien zur kartellrechtlichen Beurteilung an die Hand zu geben und auf diese Weise Nachhaltigkeitsinitiativen zu fördern.
Das Bundeskartellamt war insoweit bislang zurückhaltend. Nun hat es in einer Pressemitteilung vom 18. Januar 2022 über seine Prüfung und (im Ergebnis positive) Beurteilung zweier Vorhaben aus dem Lebensmittelbereich berichtet. Bemerkenswert daran sind weniger die sehr einzelfallspezifischen Gründe dafür als vielmehr das, was die Pressemitteilung nicht enthält – nämlich keinerlei Andeutung, wonach das Bundeskartellamt verallgemeinerungsfähige Grundsätze oder Leitlinien zur Vereinbarkeit von Nachhaltigkeitsinitiativen mit dem Kartellverbot zu veröffentlichen beabsichtigt. Ebenso wenig deutet die Behörde eine generelle Lockerung ihres Prüfungsmaßstabs an. Sie setzt vielmehr weiterhin auf eine Einzelfallbeurteilung von Nachhaltigkeitsinitiativen und lädt die Unternehmen ausdrücklich dazu ein, kritische Vorhaben mit ihr abzustimmen.
Eines der beiden Vorhaben betrifft eine Branchenkooperation des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) zur verantwortungsvollen Beschaffung von Eigenmarkenbananen und zum Monitoring transparenter existenzsichernder Löhne (living wages) hierbei. Die freiwillige Kooperation der Teilnehmer, die zugleich Wettbewerber sind, berührt damit wettbewerbsrelevante Parameter, unter anderem indem das Absatzvolumen der nach diesen Kriterien beschafften Bananen schrittweise erhöht werden soll. Allerdings sind weder Mindestpreise oder Preisaufschläge noch ein Austausch zu Einkaufspreisen, sonstigen Kosten, Produktionsmengen oder Margen geplant. Das Bundeskartellamt hatte deshalb im Ergebnis keine wettbewerblichen Bedenken.
Das zweite Vorhaben betrifft die Initiative „Tierwohl“, deren kartellrechtliche Zulässigkeit vom Bundeskartellamt bereits seit 2014 begleitet wird. Sie honoriert Tierhalter für die Verbesserung der Haltungsbedingungen mit einem einheitlichen Aufpreis pro Kilogramm Geflügel- bzw. Schweinefleisch, der hauptsächlich von den vier größten LEH-Unternehmen finanziert wird. Zu Beginn forderte das Bundeskartellamt, dass die Teilnahme an der Initiative freiwillig ist und der Zugang diskriminierungsfrei ausgestaltet wird. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen waren die freie Wahl des qualifizierten Zertifizierers durch die teilnehmenden landwirtschaftlichen Betriebe und die Verhinderung des Austauschs wettbewerbsrelevanter Informationen.
Hinzu kam, dass das konkrete Stück Fleisch entsprechend gekennzeichnet werden musste, so dass der Verbraucher die Einhaltung der Tierwohlkriterien bei seiner Kaufentscheidung tatsächlich berücksichtigen kann. Dass eine solche eindeutige Kennzeichnung anfangs nur für Geflügelfleisch umgesetzt wurde und für Schweinefleisch zunächst nicht geplant war, hat das Bundeskartellamt ausdrücklich nur für eine Übergangszeit geduldet. Nun soll das Modell auch auf Rindfleisch ausgeweitet werden, was wiederum Auswirkungen auch auf den Bereich Milchwirtschaft hat.
Mehrfach hat das Bundeskartellamt Anpassungen des Finanzierungsmodells gefordert. Insbesondere einen zwingenden Aufpreis sieht die Behörde kritisch, hat aber das auch insoweit weiterentwickelte Modell nun in seiner aktuellen Fassung für zulässig gehalten.
Die Beispiele zeigen, dass das Bundeskartellamt weiterhin auf eine Einzelfallbeurteilung setzt. Zwar lässt die Pressemitteilung Hinweise zum Prüfungsmaßstab erkennen. Kriterien wie Freiwilligkeit, Diskriminierungsfreiheit, Verzicht auf preisbezogene Elemente und Transparenz sind aber unter Umständen nur von begrenztem praktischem Nutzen, wenn konkrete andere Nachhaltigkeitsinitiativen zu beurteilen sind. Insofern dürften im Einzelfall erhebliche Unsicherheiten verbleiben.
Demgegenüber wurden in anderen Ländern zum Beispiel spezielle Leitlinien zur Beurteilung von Nachhaltigkeitsinitiativen veröffentlicht (Niederlande) oder ein besonderer institutioneller Rahmen zur „bußgeldfreien Erprobung“ solcher Vorhaben geschaffen („Sustainability Sandbox“ in Griechenland). Die Kommission hat zumindest einen breit angelegten Konsultationsprozess initiiert. In Österreich hat sogar der Gesetzgeber die Kriterien für eine Freistellung vom (österreichischen) Kartellverbot im Hinblick auf Vorhaben gelockert, die „zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft wesentlich“ beitragen. Ob diese vielfältigen Initiativen den Unternehmen tatsächlich bei der erforderlichen Selbsteinschätzung helfen, bleibt allerdings ebenso abzuwarten.
Das Bundeskartellamt geht einen anderen Weg. Es betont in seiner jüngsten Pressemitteilung funktionierenden Wettbewerb als „Teil der Lösung“, weil Nachhaltigkeit Innovationen erfordere, die nur unter Wettbewerbsbedingungen entstehen können. Einen grundsätzlichen „Nachhaltigkeitsbonus“ gibt es beim Bundeskartellamt also gerade nicht. Allerdings hält die Behörde das Kartellrecht für „hinreichend flexibel […], um Nachhaltigkeitsinitiativen […] zu unterstützen“. Auch hat sie ausdrücklich ihr Angebot erneuert, Unternehmen entsprechend zu beraten. Es bleibt demnach dabei, dass gemeinsame Vorhaben zur Förderung von Nachhaltigkeitszielen einer sorgfältigen Einzelfallprüfung bedürfen, die zur Vermeidung kartellrechtlicher Risiken unter Umständen mit dem Bundeskartellamt abgestimmt werden sollte. Möglicherweise ergeben sich aber gerade daraus tatsächlich Chancen für eine flexible Handhabung im Einzelfall.
Dr. Holger Stappert
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