17.05.2022

Lockdown in Shanghai und Ukraine-Krieg – Streitigkeiten aufgrund von Störungen der internationalen Lieferkette

Hintergrund

Internationale Geschäftsbeziehungen und Lieferketten sind aktuell insbesondere mit Blick auf zwei Staaten und deren Maßnahmen beeinträchtigt: Russlands Krieg gegen die Ukraine und damit zusammenhängende Sanktionen sowie strenge Lockdown-Maßnahmen Chinas in Großmetropolen wie Shanghai. Beides führt zu Verzögerungen und Ausfällen in der Lieferkette. Dies hat zwangsläufig auch Streitigkeiten zwischen Unternehmen zur Folge.

Denn Sanktionen gegen Russland verhindern etwa den Export von Rohstoffen oder Grundstoffen. Durch einen Boykott russischen Erdgases wäre mittelbar ein noch erheblicherer Teil der Wertschöpfungskette in Deutschland betroffen. Zugleich gaben in Shanghai über die Hälfte der ansässigen deutschen Unternehmen eine vollständige Störung ihrer Logistik und Lagerhaltung an. Mit dem Betrieb des Shanghaier Yangshan-Tiefwasserhafen ist nicht nur der verkehrsreichste Hafen der Welt eingeschränkt; auch der Betrieb an den Flughäfen ist eingeschränkt. Auch Landverbindungen über die neue Seidenstraße sind betroffen und werden zusätzlich durch den Krieg in der Ukraine eingeschränkt.

Mit Blick auf Russland können daher zum einen unmittelbar Streitigkeiten mit russischen Geschäftspartnern entstehen, wenn durch die Sanktionen Geschäftsbeziehungen mit diesen gestört werden. Dies gilt ebenso mit Blick auf China, wenn chinesische Geschäftspartner ihre Leistungen aufgrund des Lockdowns nicht mehr erbringen können. Zum anderen aber entstehen insbesondere auch mittelbar Streitigkeiten mit sonstigen (deutschen oder ausländischen) Unternehmen, wenn durch die Sanktionen, den Krieg oder Corona-Maßnahmen Geschäftsbeziehungen in der Leistungskette gestört werden.

Es stellt sich dann die Frage, wie diese Streitigkeiten optimal beigelegt werden können. Wie wirken sich die Sanktionen zum Beispiel auf Streitigkeiten mit russischen Unternehmen aus? Und wie sollte man sich optimal in einer Lieferkette aufstellen?

Die daraus resultierenden Rechtsfragen sind komplex. Diese Streitigkeiten betreffen nicht nur unterschiedliche Rechtsordnungen, die eventuell zu kollidierenden Ergebnissen kommen können. In Lieferketten können auch inkompatible Gerichtsstand- und Schiedsgerichtsklauseln aufeinandertreffen. Der nachfolgende Überblick kann zwangsläufig nicht erschöpfend sein. Weder sind die Sanktionen und Maßnahmen final – vielmehr ist eine stetige Weiterentwicklung zu erwarten – noch sind alle Situationen miteinander vergleichbar. Eine Einzelfallbetrachtung ist unabdingbar.

 

1. Unterschiedliche Rechtsordnungen und Gerichtsstände bei direkten Streitigkeiten mit russischen Unternehmen

Führen die Sanktionen zu Streitigkeiten mit russischen Unternehmen, ist zunächst relevant, dass von Sanktionen betroffene russische Unternehmen sich nach russischem Recht nicht an eine vertragliche Gerichtsstand- oder Schiedsvereinbarung halten müssen. Bereits im Juni 2020 wurde die russische Handelsverfahrensordnung („APC“) in Artikel 248 so ergänzt, dass die russischen Handelsgerichte ausschließliche Gerichtsbarkeit für Streitigkeiten mit von Sanktionen beeinträchtigten russischen Bürgern und Unternehmen haben. Besteht eine vertragliche Schieds- oder Gerichtsstandsklausel mit einem nicht in Russland belegenen Sitz (also z.B. Gerichte oder Schiedsgerichte in der EU), so muss die russische Seite sich daher nicht daran halten. Russische Gerichte haben dies Anfang des Jahres so weit ausgelegt, dass die Existenz von Sanktionen an sich schon als Beeinträchtigung i.S.d. Art. 248 APC ausreicht, unabhängig davon, ob die russische Partei tatsächlich konkret beeinträchtigt ist. Die russische Partei kann vor russischen Gerichten sogar eine einstweilige Verfügung gegen die Durchführung eines Gerichts- oder Schiedsverfahren im Ausland erwirken. Außerhalb Russlands wird ein solches Verfahren vor russischen Gerichten allerdings vermutlich keine Wirkung entfalten.

Haben Sie in ihren Verträgen ein russisches Schiedsgericht wie z.B. das Internationale Handelsschiedsgericht bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation (MKAS) vereinbart, so dürfte zweifelhaft sein, ob das nach dessen Regeln konstituierte Schiedsgericht die Sanktionen nach russischem Recht überhaupt berücksichtigen darf und wird. Damit stellen sich dann weitere Fragen, wenn z.B. ein Schiedsspruch gegen sie ergeht, der die Sanktionen nicht berücksichtigt. Dessen Vollstreckbarkeit dürfte zumindest zweifelhaft sein.

Ein in der EU ansässiges Schiedsgericht wird die EU-Sanktionen berücksichtigen müssen. Das folgt schon daraus, dass ein die Sanktionen ignorierender Schiedsspruch möglicherweise nicht vollstreckt, sondern von EU-Gerichten aufgehoben werden kann. Dieses Ergebnis gilt aber nicht notwendigerweise, soweit und sofern das Schiedsgericht nicht nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaats zu entscheiden hat, und vielleicht auch nicht in der EU sitzt.

Die Sanktionen schließen die Durchführung eines Schiedsverfahren grundsätzlich nicht aus. Im Allgemeinen müssen Schiedsinstitutionen bei Streitigkeiten, an denen sanktionierte Unternehmen beteiligt sind, mehr administrative Schritte vornehmen als normal. Diese beinhaltet etwa eine ausführliche Compliance-Prüfung und den Dialog mit den zuständigen staatlichen Behören über die praktischen Aspekte der in einer – erwartbaren – EU-Verordnung geforderten Maßnahmen. Dieser gesteigerte Administrationsaufwand der Schiedsinstitutionen wird sich vielleicht negativ auf die Verfahrensdauer, sicherlich jedoch auf die Kosten des Schiedsverfahrens auswirken. Grundsätzlich ist ein Verfahren aber durchführbar; es mag nur länger dauern und teurer werden.

Haben Sie einen deutschen Gerichtsstand vereinbart, kann sich dies aufgrund der Sanktionen vorteilhaft auswirken. Zwar wird die Einleitung und Durchführung eines Verfahrens länger dauern und wird das Ergebnis in Russland möglicherweise nicht anerkannt, da deutsche Urteile, insbesondere wenn sie sanktionierte Leistungen zusprechen, vermutlich nicht vollstreckungsfähig sind. Soweit aber der russische Gegenpart Vermögenswerte in Europa hat, die durch Sanktionen eingefroren sind, kann auf diese mit einem Gerichtsurteil zugegriffen werden.

 

2. Unterschiedliche Rechtsordnungen und Gerichtsstände bei direkten Streitigkeiten mit chinesischen Unternehmen

Führen die Lockdownmaßnahmen und Lieferausfälle zu Streitigkeiten mit chinesischen Unternehmen, so ist mit Blick auf die Erfolgsaussichten der Anspruchsdurchsetzung stets besonderes Augenmerk auf die vereinbarten Streitbeilegungsmechanismen zu lenken.

So wird es bei einem vereinbarten deutschen Gerichtsstand mangels Vollstreckungsabkommen zwischen Deutschland und China zu erheblichen Vollstreckungsproblemen kommen, soweit man auf Vermögen innerhalb der VR China zugreifen will. Die für eine Vollstreckung notwendige Verbürgung der Gegenseitigkeit wird bislang nicht anerkannt.

Ist ein chinesischer Gerichtsstand vereinbart, so ist zwar eine Vollstreckbarkeit gegeben. Jedoch ist man auf dem Weg bis zur Entscheidung vor besondere Herausforderungen gestellt: Zu einem langwierigen Legalisierungsbedarf im Vorfeld kommen sodann ein systemisch bedingter, enorm hoher Zeitdruck chinesischer Gerichte, der häufig zu schlecht begründeten Urteilen führt.  Auch ist der Grad der politischen Einflussnahme auf Gerichtsentscheidungen – zumal vor dem Hintergrund des aus deutscher Sicht massiven Einsatzes von Legal Tech – nicht abschließend einschätzbar und die Unabhängigkeit und Neutralität chinesischer Gerichte jedenfalls zweifelhaft. In ländlichen Regionen sind bis heute vereinzelt noch nicht einmal ausgebildete Juristen als Richter tätig.

Insoweit ist man hier vorteilhaft aufgestellt, wenn man eine Schiedsabrede mit der chinesischen Partei getroffen hat. Im Einzelfall mögen hier unterschiedliche Schiedsvereinbarungen vorteilhaft sein. Auch ausländische Schiedssprüche sind in der VR China nach der New York-Convention vollstreckbar. Gilt jedoch chinesisches Recht, sind bei der Abfassung der Schiedsklauseln die besonderen Anforderungen des chinesischen Schiedsrechts zu beachten, welches noch nicht an die internationalen Standards angepasst ist und sich erst ganz aktuell in Überarbeitung befindet. Insbesondere bei Streitigkeiten von in China ansässigen Tochterunternehmen mit chinesischen Geschäftspartnern ist zu beachten, dass an diese die strengeren Anforderungen für „innerchinesische“ Streitigkeiten gestellt werden, die oft zur Unwirksamkeit der betreffenden Schiedsklausel führen.

3. Unterschiedliche und kollidierende Rechtsordnungen und Streitschlichtungsklauseln bei indirekten Streitigkeiten in der Lieferkette

Komplexer stellt sich die Situation bei indirekten Streitigkeiten dar, wenn also z.B. Streitigkeiten entstehen, weil durch die Sanktionsfolgen bestimmte für die Produktion nötige Rohstoffe nicht mehr oder nur noch stark verteuert zur Verfügung stehen, durch den Lockdown notwendige Lieferungen ausbleiben oder sich die Folgen eines Gasboykotts und der hoheitlich angeordneten Abschaltung von Unternehmen vom Gasnetz durch die Wertschöpfungskette fressen.

Zum einen stellen sich schwierige materielle Rechtsfragen, z.B. ob im konkreten Fall höhere Gewalt oder ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt, und was die daraus resultierenden Folgen sind. Diese Fragen können in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich beantwortet werden. Insoweit bietet es sich an, im Falle einer Beteiligung mehrerer Parteien aus unterschiedlichen Nationen zu prüfen, ob verschiedene Gerichtsstände für einen potentiellen Rechtsstreit in Betracht kommen können und sodann strategisch Klage in dem für die eigene Position günstigsten Gerichtsstand zu erheben, soweit dies Auswirkungen auf das anwendbare materielle Recht hat. Darüber hinaus bergen Mehrpersonenverhältnisse in Lieferketten vielschichtige weitere Fragen, etwa ob und gegenüber wem – eventuell auch dem Staat – ein Regress möglich ist, und ob ein Vorgehen im Wege der Abtretung, Prozessstandschaft oder Drittschadensliquidation angebracht ist.

Zum anderen aber stellen sich auch prozessuale Probleme, wenn sich ein Unternehmen in der Lieferkette befindet und einerseits z.B. eine Schiedsvereinbarung mit Vorlieferanten und andererseits z.B. eine Gerichtsstandsvereinbarung mit Kunden hat. Wie können unterschiedliche Ergebnisse verhindert werden? Der aus Gerichtsprozessen bekannte Mechanismus der Streitverkündung funktioniert ohne Probleme nur, wenn auf beiden Seiten der Lieferkette innerdeutsche Gerichtsverfahren geführt werden können. Und wie ist es bei einer Vielzahl von Kunden, mit denen zum Teil unterschiedliche Gerichtsstands- oder Schiedsgerichtsklauseln vereinbart wurden? Wie wird am Ende eine Vollstreckung – womöglich auf Vermögen im Ausland – gelingen?

Eine Standardlösung gibt es nicht für diese Fragen. Ebenso gilt, dass die „richtige“ Lösung die ist, die die Risiken für ein Unternehmen minimiert. Ausschließen wird man diese Risiken aber nicht können, da Prognosen über den Ausgang von Gerichtsverfahren wie Wettervorhersagen sind: je langfristiger, desto unsicherer.

4. Fazit

Die direkten und indirekten Auswirkungen der Sanktionen und Maßnahmen führen im Streitfall zu komplexen Rechtsfragen, da nicht nur kollidierende Rechtsordnungen, sondern auch kollidierende Streitbeilegungsmechanismen eine Rolle spielen können. Insbesondere Unternehmen, die sich in einer Lieferkette befinden, sollten vorab sorgfältig ihre Prozessstrategie planen.

Autor/in
Dr. Richard Happ

Dr. Richard Happ
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Hamburg
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Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss

Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss
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