04.09.2024
Im April 2024 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass ambulante ärztliche Leistungen durch Krankenhäuser der Gebührenordnung für Ärzte (GÖA) unterliegen und Pauschalvergütungen nichtig sind. Nun gab es eine Folgeentscheidung, die dieses erste Urteil verständlicher macht: Laut BGH ist die GÖA bei (teil-) stationären Leistungen bei Abschluss eines totalen Krankenhausaufnahmevertrages nicht anzuwenden.
Im Newsflash vom Mai 2024 hatten wir berichtet, dass laut BGH die GOÄ Anwendung findet, wenn ein Behandlungsvertrag mit einer juristischen Person wie zum Beispiel einem Krankenhausträger oder einem medizinischen Versorgungszentrum abgeschlossen wird. Die Entscheidung bezog sich jedoch nur auf ambulante Leistungen, sodass daraus wenig zur Bindung an die GOÄ bei stationären Leistungen gefolgert werden konnte (BGH, 4. April 2024, Az.: III ZR 38/23).
Die aktuelle Folgeentscheidung des 3. Senats des Bundesgerichtshofes gibt nun Aufschluss (Urteil vom 13. Juni 2024, Az.: III ZR 279/23). Nach dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die GOÄ bei (teil-)stationären Leistungen bei Abschluss eines totalen Krankenhausaufnahmevertrages nicht anzuwenden ist.
Gegenstand des Revisionsverfahrens[1] vor dem Bundesgerichtshof („BGH“) waren Liposuktionsbehandlungen beim Lipödem – einer krankhaften Fettverteilungsstörung – für die ein Pauschalhonorar vereinbart und von der Klägerin zunächst auch bezahlt wurde. Die Liposuktionen wurden an verschiedenen Terminen durchgeführt und die Klägerin verbrachte nach den Eingriffen jeweils eine Nacht in einem mit der Beklagten kooperierenden Krankenhaus.
Bei der Beklagten handelte es sich um eine gemäß § 30 GewO konzessionierte Privatkrankenanstalt, die grundsätzlich zu einer stationären Leistungserbringung berechtigt ist. Die Besonderheit war allerdings, dass gerade kein sog. totaler Krankenhausaufnahmevertrag – d.h. ein Vertrag über ärztliche Leistungen und Unterkunft, Pflege und Verpflegung – zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossen worden war. Das Vertragsverhältnis wurde aufgespalten und die Klägerin hatte mit dem kooperierenden Krankenhaus eigenständige Verträge über Unterkunft und Pflege nach „ambulantem Eingriff“ geschlossen und auch separat abgerechnet.
Die Klägerin hielt die Vergütungsvereinbarungen für unwirksam und forderte die Vergütung als Leistung ohne rechtlichen Grund zurück. Eine hilfsweise Abrechnung nach der GOÄ sah die Klägerin nicht als hinreichenden Rechtsgrund, da die Rechnung nicht fällig sei.
Weiterhin stritten die Beteiligten auch über die darüber hinaus umstrittene Frage, welche GOÄ-Ziffern für Liposuktionen beim Lipödem angesetzt werden dürfen. Diese spezielle Frage greifen wir an dieser Stelle nicht im Detail auf.
[1] Gegen die Entscheidung des OLG Köln vom 16. August 2023, Az.: 5 U 32/22.
Mit der schon in unserem Newsflash vom Mai 2024 dargestellten Entscheidung des BGH wurde der langjährige Streit[2] in Literatur- und obergerichtlicher Rechtsprechung beendet und klargestellt, dass die Vorschriften der GOÄ für ambulante Leistungen von juristischen Personen (z. B. eines Krankenhausträgers), die lediglich durch Ärzte im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses in der Erfüllung ihrer eigenen Dienstaufgaben erbracht werden, für anwendbar erklärte. Eine Bindung an die GOÄ schließt insbesondere eine Vereinbarung von Pauschalpreisen aus.
Keine Relevanz des Vertragspartners des Behandlungsvertrages
Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es auf den Wortlaut von § 1 Abs. 1 GOÄ an, der sich auf die „beruflichen Leistungen der Ärzte“ bezieht. Der BGH schließt aus dieser Formulierung nicht – anders, als Stimmen in der Literatur – dass diese Formulierung voraussetzt, dass ein Behandlungsvertrag unmittelbar mit einem Arzt in Rede stehen muss. Demnach ist für die Bindung an die GOÄ nicht entscheidend, mit wem der Behandlungsvertrag geschlossen wurde.
Keine Bindung an die GOÄ bei stationären Leistungen
Die Entscheidung des BGH vom 4. April 2024 (Az.: III ZR 38/23) betraf allerdings eine ambulante Leistung, sodass der BGH den Anwendungsbereich ausdrücklich auch nur auf diese Behandlungsart erstreckte, ohne stationäre Krankenhausbehandlungen einzubeziehen. Die Argumentation konnte aber vertretbar übertragen werden.
Die neue Entscheidung vom 13. Juni 2024, Az.: III ZR 279/23 betraf zwar wiederum ambulante Leistungen, allerdings lässt sich der Begründung des BGH in einem Obiter Dictum eindeutig entnehmen, dass von der GOÄ-Bindung (teil-)stationäre Behandlungen ausdrücklich nicht erfasst sind – soweit ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag abgeschlossen worden ist. Hier hat sich der BGH ausführlich mit der Bindung an die GOÄ bei (teil-)stationären Leistungen befasst:
„b) Die GOÄ wird auch nicht durch eine andere Bestimmung zur Abrechnung der Behandlung verdrängt (vgl. § 1 Abs. 1 Halbsatz 2 GOÄ). Insbesondere handelte es sich vorliegend nicht um eine stationäre Krankenhausbehandlung, für die im Fall eines DRG-Krankenhauses ein anderes Preisrecht - das Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und die Bundespflegesatzverordnung (BPflV) – gilt beziehungsweise im Fall einer nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 KHG geförderten oder steuerlich begünstigten (§ 67 AO), dem Krankenhausentgeltgesetz nicht unterfallenden reinen Privatklinik die Möglichkeit einer in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB freien Preisvereinbarung und -gestaltung besteht (zu Letzterem Senat, Beschluss vom 21. April 2011 - III ZR 114/10, NVwZ-RR 2011, 566 Rn. 5; BGH, Urteil vom 12. März 2003 - IV ZR 278/01, BGHZ 154, 154, 158 ff).
aa) Anders als bei der stationären oder teilstationären Aufnahme, über die regelmäßig ein sogenannter totaler Krankenhausaufnahmevertrag geschlossen wird, der alle für die stationäre Behandlung erforderlichen Leistungen einschließlich der gesamten (wahl-)ärztlichen Versorgung umfasst (Senat, Urteile vom 14. Januar 2016 – III ZR 107/15, NJW 2016, 3027 Rn. 22 und vom 19. Februar 1998 – III ZR 169/97, BGHZ 138, 91, 96), ist die ambulante Behandlung auf die ärztliche Diagnostik und Behandlung beschränkt. Dies gilt für DRG-Krankenhäuser wie für reine Privatkliniken gleichermaßen. [Hervorh. d. d. Verf.]“[3]
In der Passage aus dem Urteil findet sich ausdrücklich auch ein Hinweis auf die freie Preisvereinbarung und -gestaltung durch reine Privatkliniken. Aus den expliziten Ausführungen wird daher deutlich, dass der BGH eine Bindung an die GOÄ für (teil-)stationäre Leistungen im Rahmen eines totalen Krankenhausaufnahmevertrages ablehnt.
Voraussetzung: Totaler Krankenhausaufnahmevertrag
Eine Bindung an die GOÄ hängt demnach bei medizinisch indizierten (teil-)stationären Leistungen entscheidend vom Vorliegen eines totalen Krankenausaufnahmevertrages ab. Insofern richtet sich der Fokus des BGH auch auf den der Behandlung zugrundeliegenden Behandlungsvertrag, aber – anders als es im Rahmen der bisherigen Diskussion der Fall war – nicht auf die Person des Vertragspartners, sondern auf den Inhalt des Vertrages:
Entscheidend ist demnach, welche Leistungen erfasst sind. Wesentlicher Unterschied nach der Rechtsprechung ist daher, dass „bei der stationären oder teilstationären Aufnahme, über die regelmäßig ein sogenannter totaler Krankenhausaufnahmevertrag geschlossen wird, der alle für die stationäre Behandlung erforderlichen Leistungen einschließlich der gesamten (wahl-)ärztlichen Versorgung umfasst (Senat, Urteile vom 14. Januar 2016 – III ZR 107/15, NJW 2016, 3027 Rn. 22 und vom 19. Februar 1998 – III ZR 169/97, BGHZ 138, 91, 96)“.
Demgegenüber „ist die ambulante Behandlung auf die ärztliche Diagnostik und Behandlung beschränkt. Dies gilt für DRG-Krankenhäuser wie für reine Privatkliniken gleichermaßen.“[4]
[2] S. ausführlich und mit Nachweisen zum bisherigen Streitstand Rütz/Büscher
, Gesundheitsrecht.blog Nr. 20, 2023; abrufbar unter: gesundheitsrecht.blog/vertragsfreiheit-beim-abschluss-von-verguetungsvereinbarungen-mit-privatkliniken/.
[3] BGH, Urteil vom 13. Juni 2024, Az.: III ZR 279/23, Rn. 19 f. juris.
[4] BGH, Urteil vom 13. Juni 2024, Az.: III ZR 279/23, Rn. 20 juris.
Für ambulante Leistungen gilt, dass stets eine Abrechnung nach der GOÄ zu erstellen ist – egal, welcher Leistungserbringer, gleich in welcher Rechtsform, diese Leistung erbringt. Durch die Rechtsprechung des BGH ist diese Frage nunmehr als endgültig geklärt anzusehen. Insofern sind ambulante Leistungen immer nach der GOÄ abzurechnen. Folglich dürfen also bei ambulanten Leistungen keinesfalls Pauschalvergütungen vereinbart werden.[5]
Auch für (teil-)stationäre Leistungen schafft die Entscheidung vom 13. Juni 2024 weitere Rechtssicherheit: Es besteht keine Bindung an die GOÄ. Voraussetzung ist allerdings der Abschluss eines totalen Krankenhausaufnahmevertrages. Es reicht also nicht aus, dass der jeweilige Leistungserbringer zur stationären Versorgung berechtigt ist. Entscheidend ist, dass es im jeweiligen Einzelfall eine stationäre Behandlung medizinisch indiziert erforderlich war und ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag geschlossen wurde.
[5] S. dazu bereits im Newsflash aus dem Mai 2024.
Dr. Hendrik Bernd Sehy
Counsel
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Anna Büscher
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