15.03.2024

Organhaftung für unerlaubte Bankgeschäfte – Haftungsbeschränkung durch interne Zuständigkeitsregelungen der Geschäftsleitung (BGH, Urt. v. 9.11.2023 – III ZR 105/22)

Hintergrund

Wenn von Organhaftung die Rede ist, steht zumeist die Haftung des Organmitglieds gegenüber der Gesellschaft nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (z.B. § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbH und § 34 Abs. 2 GenG) im Fokus. Freilich kommt unter bestimmten Voraussetzungen für geschäftsbezogenes Fehlverhalten auch eine Haftung der Organmitglieder gegenüber außenstehenden Dritten in Betracht. Die Anspruchsgrundlagen liegen vor allem im Bereich des Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB), so dass auch eine Haftung gegenüber Dritten gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes in Rede stehen kann. Unter einem Schutzgesetz wird jede Rechtsnorm – also nicht nur Parlamentsgesetze, sondern zum Beispiel auch Rechtsverordnungen, Satzungen, aber auch Normen des EU-Rechts – verstanden, die nicht lediglich dem Schutz der Allgemeinheit dient, sondern zumindest auch die Interessen des Einzelnen gezielt schützen soll. Der Anwendungsbereich ist damit denkbar breit und das potenzielle Haftungsrisiko entsprechend groß. Folglich sind solche Organhaftungsfragen stets im Fokus der Rechtsprechung, wie das hiesige Urteil des BGH zeigt.

Sachverhalt

In dem dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau („Anleger“) in Immobilien-Projektgesellschaften investiert, die Tochtergesellschaften der E.C. AG mit Sitz in der Schweiz waren. Zu diesem Zweck schlossen die Anleger und die E.C. AG einen „Beteiligungsvertrag“, nach dem sie einen Betrag in Höhe von EUR 50.000,00 in ein Projekt einer der Projektgesellschaften investierten. Der Beteiligungsvertrag sah die vollständige Rückzahlung dieses Betrags nach einer Laufzeit von 24 Monaten und eine feste Verzinsung mit 6 % p.a. vor. Weder die E.C. AG noch ihre Tochtergesellschaften, die sämtlich inzwischen insolvent sind, hatten eine Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften. Der Kläger nahm nun den „Direktor“ der E.C. AG, der gleichzeitig Geschäftsführer der Projektgesellschaften war (nachfolgend „Beklagter“), aus eigenem und aus von seiner Ehefrau abgetretenem Recht auf Schadensersatz wegen gescheiterter Investitionen in Anspruch. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht als Berufungsgericht haben eine Haftung des Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32 KWG bejaht. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts legte der Beklagte Revision ein.

Entscheidung

Die Revision des Beklagten führte jedoch zur Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und Zurückverweisung der Sache durch den BGH.

1. § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG ist Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB

Zunächst hält der BGH an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach die Vorschrift des § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist. Dies entspricht auch der ganz herrschenden Auffassung im Schrifttum.

Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG bedarf derjenige, der im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen will, einer Erlaubnis durch die zuständige Aufsichtsbehörde bedarf. Ein (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Verstoß hiergegen ist gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 2 KWG strafbar. Gegen das Schutzgesetz des § 32 KWG habe die E.C. AG deshalb verstoßen, weil die Annahme des Investitionsbetrages der Anleger in Verbindung mit der unbedingten Rückzahlungsverpflichtung ein Einlagengeschäft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG und damit ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft ist.

2. Objektive Organstellung keine hinreichende Haftungsvoraussetzung

Freilich sei, so der BGH, die Organstellung allein nicht hinreichend, um eine deliktische Außenhaftung des Organmitglieds gegenüber Dritten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. dem zugrunde liegenden Schutzgesetz zu begründen. Vielmehr sei ein Verschulden i.S.v. § 276 BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit) erforderlich, das gesondert festgestellt werden müsse. Obgleich die generelle Legalitätspflicht sowie die Pflichten des Geschäftsleiters nach § 25a Abs. 1 Satz 2 KWG weitreichende Sorgfaltspflichten begründen, sei dadurch eine Delegation von Aufgaben und damit eine Übertragung von Verantwortung nicht ausgeschlossen. So können etwa interne Zuständigkeitsregelung in der Geschäftsleitung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zwar nicht zu einer Aufhebung, wohl aber zu einer Beschränkung der Strafe und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Dies beruhe auf dem Gedanken, dass der Geschäftsführer den ihm zukommenden Handlungspflichten für die Gesellschaft als Ganze auf unterschiedliche Weise nach kommen könne. Auch durch organisatorische Maßnahmen könne er zur Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Pflichten beitragen, indem er etwa an einer Regelung mitwirke, durch die jedem Geschäftsführer bestimmte Aufgaben zugewiesen werden. Durch eine derartige Aufteilung der Geschäfte werde die Verantwortlichkeit des nicht betroffenen Geschäftsführers nach innen und außen beschränkt, da er sich im Allgemeinen darauf verlassen könne, dass der zuständige Geschäftsführer die ihm zugewiesenen Aufgaben auch erledige.

Freilich verbleiben dem nicht betroffenen Geschäftsführer in jedem Fall aufgrund seiner Allzuständigkeit gewisse Überwachungspflichten, die ihn zum Eingreifen veranlassen müssen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den zuständigen Geschäftsführer nicht mehr gewährleistet ist.

3. Sekundäre Darlegungs- und Beweislast des betroffenen Organmitglieds

In prozessualer Hinsicht führt der BGH aus, dass das betroffene Organ eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der internen Organisation der Gesellschaft habe. Gleiches gelte hinsichtlich der Umstände, aus denen sich Anhaltspunkte ergeben können, die das Organ verpflichten, die Führung der Geschäfte auch außerhalb seines eigentlichen Verantwortungsbereichs näher zu kontrollieren und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, um deren Gesetzmäßigkeit sicher zu stellen. Ausgehend von diesen Grundsätzen könne auf der Grundlage der bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten nicht begründet werden. Von daher hat der Bundesgerichtshof die Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird daher weitere Feststellungen zu treffen haben, ob die Behauptung des Beklagten zutreffend ist, er sei für den Abschluss der Beteiligungsverträge nicht zuständig gewesen und habe davon auch keine Kenntnis gehabt. Träfe dies zu, komme eine Haftung nur wegen der Verletzung von Überwachungspflichten in Betracht. Auch hierfür seien weitere Feststellungen erforderlich.

4. Fazit und Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des BGH wird sichtlich von dem Bestreben getragen, die deliktische Außenhaftung des Organmitglieds zu begrenzen. Dies ist ohne Weiteres nachvollziehbar, da nach der gesetzlichen Konzeption die Organhaftung in erster Linie als Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft konzipiert ist. Die Fälle, in denen diese „Haftungskonzentration auf den Verband“ (so Medicus) durchbrochen wird, bedürfen daher einer Begründung. Ob freilich die vom Bundesgerichtshof im genannten Urteil gegebene Begründung, die intuitiv plausibel erscheint, weil sie die für die Organinnenhaftung etablierten Grundsätze auch auf die deliktische Außenhaftung des Organs überträgt, auch bei näherem Hinsehen überzeugt, muss hier nicht weiter erläutert werden.

Für die Praxis folgt aus der Entscheidung, dass es wichtig ist, die interne Organisation und Zuständigkeitsregelung auf Leitungsebene klar und eindeutig zu regeln und zu dokumentieren. Hierdurch kann das Haftungsrisiko freilich nur beschränkt, nicht aber ganz aufgehoben werden. Es verbleiben Überwachungspflichten, insbesondere wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das ressortzuständige Organmitglied die ihm obliegenden Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Zudem sollte vor der Aufnahme der Tätigkeit anhand des recht umfangreichen Katalogs (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 und § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG) geprüft werden, ob erlaubnispflichtige Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen in Rede stehen. Gleiches gilt für die Erlaubnistatbestände des WpIG, des KAGB, des ZAG und des VAG. Zudem ist es zur Vermeidung von Haftungsrisiken ratsam, sich vor der Aufnahme der Geschäfte bei der BaFin zu erkundigen, ob sie von einem erlaubnispflichtigen Geschäft ausgeht. Zu erinnern ist schließlich noch daran, dass auch sog. faktische Organmitgliedern im Außenverhältnis gegenüber Dritten haften können

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Autor/in
Dr. Rolf Kobabe

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Daniel Latta

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