15.02.2023
Am 16. Dezember 2022 hat die EU ihr mittlerweile neuntes Sanktionspaket verabschiedet und damit die Embargomaßnahmen gegen Russland erneut verschärft. Im Januar und Februar 2023 erfolgten weitere Anpassungen der Maßnahmen. Die Sanktionen zielen insbesondere darauf ab, Russland weiter unter Druck zu setzen und die russische Wirtschaft, seine politische Elite und damit auch das Militär zu schwächen.
Bereits 2014 reagierte die EU auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und die russische Unterstützung der Separatisten in den umkämpften Gebieten in der Ostukraine mit Sanktionen, die insbesondere in der VO (EU) 269/2014 vom 17. März 2014 und der VO (EU) 833/2014 vom 31. Juli 2014 geregelt sind. Während mit der VO (EU) 269/2014 personenbezogene Maßnahmen gegen eine Vielzahl natürlicher und juristischer Personen, Einrichtungen und Organisationen verhängt wurden, mit denen in der Konsequenz praktisch keine Geschäftsbeziehungen mehr erlaubt sind, enthält die VO (EU) 833/2014 unter anderem güter- und sektorspezifische Maßnahmen, insbesondere in Form von Ausfuhr-, Einfuhr- und (Dienst-) Leistungsverboten. In Reaktion auf die Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine durch die russische Regierung und die Entsendung von Truppen in die Separatistengebiete am 21. Februar 2022 wurden beide Verordnungen nun laufend erweitert und die bestehenden Embargomaßnahmen massiv verschärft. Zudem wurde mit der VO (EU) 2022/263 vom 23. Februar 2022 noch eine neue Verordnung speziell in Bezug auf die Regionen Donezk und Luhansk erlassen, die ebenfalls güter- und sektorbezogene Maßnahmen enthält und die mit dem achten Sanktionspaket auf die Regionen Cherson und Saporischschja ausgeweitet wurde.
Den Kern der personenbezogenen Maßnahmen bildet das Bereitstellungsverbot gemäß Art. 2 Abs. 2 der VO. Danach ist es verboten, den in Anhang I der VO aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen jede Art von Geldern oder wirtschaftliche Ressourcen (dies sind insbesondere alle (Handels-) Güter, aber z. B. auch Rechte wie Patente oder Lizenzen) zur Verfügung zu stellen. Dies gilt unabhängig davon, wo sich diese Personen, Organisationen und Einrichtungen aufhalten bzw. ansässig sind und wo die Bereitstellung erfolgt, und auch mittelbar z. B. bei Zahlung oder Lieferung an ein nicht gelistetes Unternehmen, welches im Eigentum oder unter der Kontrolle einer gelisteten natürlichen oder juristischen Person steht.
Seit Ende Februar 2022 wurde der Anhang I der VO laufend erweitert, zuletzt im Rahmen des neunten Sanktionspaketes (VO (EU) 2022/2476) und am 30. Januar 2023 (VO (EU) 2023/192). Derzeit sind über 1.400 natürliche Personen und 175 juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen in Anhang I der VO aufgeführt. Ein sorgfältiges und regelmäßiges Sanktionslisten-Screening ist daher das A und O eines jeden Internen Compliance Programms, um dem Vorwurf eines (strafrechtlich relevanten) Embargoverstoßes zu entgehen.
Im Rahmen der güterbezogenen Embargomaßnahmen sind für den Handel und Vertrieb die „Ausfuhrverbote“ von herausragender Bedeutung. Dabei ist nicht nur die Ausfuhr bestimmter Güter und Technologien verboten, sondern auch der Verkauf, die Lieferung und die Verbringung (im Sinne einer „Weitergabe“, englisch „transfer“), und dies nicht nur „nach Russland“, sondern auch bloß „zur Verwendung in Russland“ und zwar sowohl unmittelbar wie auch mittelbar.
Flankiert werden diese Ausfuhrverbote von dem weitergehenden Verbot, für natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland unmittelbar oder mittelbar technische Hilfe, Vermittlungsdienste oder andere Dienste im Zusammenhang mit den jeweils sanktionierten Gütern zu erbringen. Je nach Art und Verwendung der sanktionierten Güter bzw. nach der relevanten Branche (z. B. Dual-Use-Güter, Luxusgüter, Ölindustrie, Luft- und Raumfahrtindustrie etc.) sind die Ausfuhrverbote in diversen Artikeln der VO geregelt, jeweils verbunden mit einem Anhang, in welchem die maßgeblichen Güter aufgeführt sind. Neben weiteren Verschärfungen wurden mit dem neunten Sanktionspaket (VO (EU) 2022/2474) die bereits bestehenden Anhänge VII („Advanced Technology“), XI (Luft- und Raumfahrt) und XXIII (diverse Güter) erweitert und neu gefasst.
Die umgekehrt bestehenden „Einfuhrverbote“ betreffen ebenfalls nicht nur den unmittelbaren oder mittelbaren Import bestimmter sanktionierter Güter, die ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt wurden, sondern daneben auch bereits den Kauf (also den Vertragsabschluss) sowie die Verbringung bzw. Weitergabe. Dabei müssen die betreffenden Güter weder von einem Vertragspartner in Russland gekauft worden sein, noch müssen die Güter für eine Einfuhr in die EU bestimmt sein. Der Kauf aus Russland stammender sanktionierter Güter zwecks direkter Lieferung in ein Drittland ohne Überschreitung der EU-Grenzen könnte bereits den Verbotstatbestand erfüllen. Wie die Ausfuhrverbote werden auch die Einfuhrverbote von dem Verbot der Erbringung von technischer Hilfe, Vermittlungsdiensten oder (ausgenommen bei den Eisen- und Stahlerzeugnissen) anderen Diensten begleitet.
Die Einfuhrverbote der VO sind jeweils in Verbindung mit einem Anhang geregelt. Im Zuge des neunten Sanktionspaketes wurden die Anhänge XVII (Eisen- und Stahlerzeugnisse) und XXV (Rohöl und Erdölerzeugnisse) überarbeitet. Zudem wurden bei diesen beiden Einfuhrverboten auch relevante tatbestandliche Änderungen bzw. Ergänzungen vorgenommen und im Zusammenhang mit dem Ölembargo zwei neue Anhänge XXXI und XXXII hinzugefügt. Das Ölembargo war schließlich auch Gegenstand der jüngsten Anpassungen vom 4. Februar 2023 (Preisdeckel für Erdölerzeugnisse gemäß VO (EU) 2023/250 und VO (EU) 2023/251).
Die Embargomaßnahmen der EU gegen Russland sind in jeder Hinsicht beispiellos. Das gilt nicht nur für die Fülle der unterschiedlichen Verbote, sondern auch für die Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen, Unklarheiten und Widersprüchen. Nahezu jede Branche scheint von den Sanktionen betroffen zu sein und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Im Gegenteil: ein zehntes Sanktionspaket wurde bereits für Ende Februar 2023 – zum Jahrestag des Beginns des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine – angekündigt.
Ole-Jochen Melchior
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