19.08.2024
Nach Auffassung der EU ist der Einkauf der öffentlichen Hand noch nicht „grün “ genug. Deshalb wurden in den neuen Net-Zero Industry Act (NZIA oder Netto-Null-Verordnung, in Kraft seit Juni 2024) weitere Anforderungen an den öffentlichen Einkauf zum Ausbau der Fertigung sauberer Technologien eingebaut. Welche das sind und wie damit umzugehen ist, beschreibt dieser Beitrag.
Die Umstellung auf „grüne“ Produktionsverfahren ist kostenintensiv. Unternehmen müssen mit erheblichen Kostensteigerungen und Preisrisiken rechnen. Dies sollen die vergaberechtlichen Vorschriften des NZIA abmildern. Sie verpflichten die öffentliche Hand, den Aspekten Nachhaltigkeit und Resilienz einen höheren Stellenwert bei der Auswahl ihres Auftragnehmers einzuräumen und somit Mehrkosten bei der Beschaffung in Kauf zu nehmen.
Inhalt des NZIA in Bezug auf Vergabe: Das NZIA-Vergaberecht sieht deshalb für die Beschaffung von Netto-Null-Technologien, also z.B. Solar- oder Windkrafttechnologien, (1.) die Aufnahme von verbindlichen Mindestanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit der Technologien vor. Diese werden (2.) bei Bauaufträgen und -konzessionen von weiteren spezifischen Anforderungen, Bedingungen und vertraglichen Verpflichtungen, etwa zur Cybersicherheit, flankiert. Zudem muss in den Vergabeverfahren (3.) grundsätzlich der Beitrag der Angebote zur Resilienz berücksichtigt werden.
Einige wesentliche Aspekte der vergaberechtlichen Regelungen des NZIA möchten wir im Folgenden in Form eines FAQ erläutern.
An wen richtet sich diese Verpflichtung?
Die Verpflichtung zur Aufnahme von Mindestanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit richtet sich an alle öffentlichen Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber im Oberschwellenbereich, also im sog. Kartellvergaberecht.
Bei welchen Beschaffungen sind die Mindestanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit anzuwenden?
Anzuwenden sind diese Mindestanforderungen bei der Beschaffung von Endprodukten oder spezifischen Bauteilen der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a-k des NZIA aufgeführten Netto-Null-Technologien. Dazu gehören insbesondere Solar- bzw. Photovoltaik-Technologien, Technologien für Onshore-Windkraft, erneuerbare Offshore-Energie, Wärmepumpen oder Wasserstofftechnologien, einschließlich Elektrolyseuren und Brennstoffzellen.
Vom Anwendungsbereich umfasst sind auch Bauaufträge oder -konzessionen, die Produkte der genannten Technologien umfassen.
Regelt der NZIA bereits selbst die konkreten Mindestanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit?
Nein, denn diese Mindestanforderungen werden erst in einem noch folgenden Durchführungsrechtsakt der EU-Kommission verbindlich festgelegt. Dieser Durchführungsrechtsakt wird für Ende März 2025 erwartet und wird dann etwa zu übernehmende Vorgaben des CO2-Verbrauchs pro Tonne Stahl oder Ähnliches festlegen.
Die Bieterunternehmen in solchen Ausschreibungen werden gehalten sein, ihre Produkte entsprechend zertifizieren zu lassen.
Gibt es Ausnahmen von der Pflicht zur Anwendung der Mindestanforderungen zur ökologischen Nachhaltigkeit?
Ja, die Pflicht zur Anwendung der Mindestanforderungen gilt nicht, wenn:
Von solchen unverhältnismäßig hohen Kosten können die Auftraggeber laut der Verordnung ausgehen, wenn die Kostenunterschiede auf über 20% geschätzt werden. Die Schätzung muss vom Auftraggeber anhand von objektiven und transparentenDaten belegt und dokumentiert werden.
Gilt die Anforderung ab sofort? Gibt es eine Übergangsfrist?
Ja, diese Anforderung gilt bis Ende Juni 2026 zunächst nur für Aufträge, die von zentralen Beschaffungsstellen nach § 120 Abs. 4 GWB vergeben werden (beispielsweise also Stadtwerkeverbünde, die in Kooperation einkaufen) und deren Auftragswert 25 Mio. EUR übersteigt.
Sind im NZIA weitere Anforderungen für Bauaufträge und -konzessionen geregelt, die die Beschaffung von Netto-Null-Technologien umfassen?
Neben die grundsätzliche Pflicht zur Berücksichtigung der Mindestanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit (Ziff. 1) tritt für Bauaufträge und -konzessionen eine zusätzliche Vorgabe. Dieser zufolge ist grundsätzlich mindestens eine der nachstehenden Regelungen in das Vergabeverfahren aufzunehmen:
Sind auch für diese Anforderung Ausnahmen in der Verordnung geregelt?
Ja, die unter Ziff. 1 aufgeführten Ausnahmetatbestände gelten auch für diese Anforderung.
Was bedeutet eigentlich Resilienz?
Im vorliegenden Zusammenhang bedeutet Resilienz die Stärkung der strategischen Autonomie der Europäischen Union.
Die Verordnung sieht vor, dass die öffentlichen Auftraggeber den Beitrag des Angebots zur Resilienz berücksichtigen müssen. Welche Informationen sind dazu bisher bekannt?
Zwei bestimmte Fallgestaltungen hat die EU-Kommission bereits geregelt:
Stellt die Kommission anhand der ihr vorliegenden Daten fest, dass der Anteil einer spezifischen Netto-Null-Technologie oder ihrer wichtigsten spezifischen Bauteile mit Herkunft aus einem Drittland mehr als 50 % der Lieferungen eben dieser spezifischen Technologie ausmacht, müssen die Auftraggeber bestimmte Bedingungen in das Verfahren aufnehmen. Diese betreffen etwa den Anteil der Technologie, die aus jedem Drittland geliefert werden darf.
Gleiches gilt, wenn die Kommission festgestellt hat, dass der Anteil der betreffenden Lieferungen aus einem Drittland innerhalb der Union in zwei aufeinanderfolgenden Jahren durchschnittlich um mind. 10 Prozentpunkte gestiegen ist und mind. 40% der Lieferungen innerhalb der Union erreicht hat.
Im Übrigen ist noch nicht viel zur Berücksichtigung des Beitrags des Angebots zur Resilienz bekannt. Denn Wertungsmaßstäbe oder nähere Informationen zur Bewertung sind der Verordnung nicht zu entnehmen. Aus den Vorschriften ergibt sich jedoch, dass die EU-Kommission folgende Informationen zur Verfügung stellen wird:
Ein kommunales Verkehrsunternehmen, z.B. eine Stadtwerkegesellschaft, soll einen grünen Betriebshof bekommen. Perspektivisch sollen alle Busse ausschließlich mit Wasserstoff betrieben werden. Es muss eine Wasserstoffinfrastruktur her, konkret: Planung und Bau von mindestens einem Elektrolyseur, H2-Tankstelle, Niederdruckspeicher, Wartung und Instandhaltung.
Das Verkehrsunternehmen als Sektorenauftraggeber ist bei der Beschaffung dieser Wasserstoffinfrastruktur grundsätzlich zur Einhaltung aller zuvor beschriebenen Vorgaben verpflichtet.
Bis Juni 2026 sind jedenfalls alle zuvor beschriebenen Anforderungen zu berücksichtigen, wenn das Verfahren von einer zentrale Beschaffungsstelle geführt wird und der Auftragswert 25 Mio. EUR oder mehr beträgt. Ab Juli 2026 gilt das dann auch für kleinere Projekte oberhalb des EU-Schwellenwerts. Für Bauleistungen liegt dieser derzeit bei 5,538 Mio. EUR.
Wie die Umsetzung in der Praxis funktioniert, möchten wir anhand der nachfolgenden Checkliste erklären.
Wir halten fest: Der NZIA regelt nur den Rahmen der neuen vergaberechtlichen Vorschriften. Vor allem für die Praxis wird der noch kommende Durchführungsrechtsakt der EU-Kommission relevant sein, in dem die inhaltlichen Anforderungen näher aufgeführt sein werden. Zudem ist die Bundesregierung derzeit mit den Vorbereitungen für die nationale Durchführung des NZIA befasst.
Die Regelungssystematik des NZIA-Vergaberechts ist im Übrigen ähnlich konzipiert wie die neue europäische Ökodesign-Verordnung. Diese ist seit Juli 2024 in Kraft und sieht ebenfalls vor, dass Mindestanforderungen für die Nachhaltigkeitseigenschaften verschiedener Produktgruppen durch die EU-Kommission festgelegt werden. In verschiedenen delegierten Rechtsakten sollen die Anforderungen an die Umwelteigenschaften für die unterschiedlichen Produktgruppen geregelt werden. Auch diese Regelung wird die öffentliche Hand betreffen.
Dr. Stefan Mager
Partner
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Charlotte Jodocy
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