10.03.2020
BGH Urteil vom 20. Februar 2020 – I ZR 193/18: Nach dem Urteil des BGH haftet ein Verkäufer von Produkten auf der Handelsplattform Amazon nicht für irreführende Kundenrezensionen, sofern diese erkennbar vom Angebot des Verkäufers getrennt sind und nach einer Abwägung im Einzelfall kein höherrangiges Rechtsgut - wie z.B. die öffentliche Gesundheit - gefährdet wird.
Die beklagte Händlerin verkaufte Kinesiologie-Tapes auf der Online-Handelsplattform Amazon. Unter dem Angebot der Beklagten waren mehrere Kundenrezensionen abrufbar, die darauf hinwiesen, dass das Produkt – dessen Wirksamkeit medizinisch nicht bewiesen ist – tatsächlich schmerzlindernd wirke. In den Kundenrezensionen hieß es unter anderem: „This product is perfect for pain…“, „Linderung der Schmerzen ist spürbar“ und „Schnell lässt der Schmerz nach“.
Daraufhin verlangte der Verband Sozialer Wettbewerb vom Verkäufer u.a. die Löschung dieser Kundenrezensionen, mit der Begründung, es handele sich um eine nach § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 u. S. 2 HWG verbotene Werbung mit irreführenden Äußerungen Dritter für Medizinprodukte. Sowohl das erstinstanzliche Gericht (Landgericht Essen) als auch das Berufungsgericht (Oberlandesgericht Hamm) verneinten eine wettbewerbsrechtliche Verantwortlichkeit des Verkäufers für irreführende Kundenrezensionen, da diese keine Werbung darstellten oder dem Verkäufer zumindest nicht zurechenbar seien.
Der BGH schloss sich nun den Vorinstanzen an und entschied, dass es sich zwar um irreführende Äußerungen Dritter handele, ein Unterlassungsanspruch aber deshalb ausscheide, weil die beklagte Verkäuferin mit diesen Kundenrezensionen gerade nicht geworben habe. Vielmehr sind die Kundenrezensionen als solche gekennzeichnet und vom Produktangebot getrennt. Sie fallen damit nicht in den Verantwortungsbereich des Verkäufers.
Auch eine Rechtspflicht des Verkäufers, irreführende Kundenrezensionen dieser Art zu verhindern, verneint der BGH. Die Möglichkeit, sich als Verbraucher über die Vor- und Nachteile eines Produkts zu äußern und zu informieren - auch durch andere Kundenrezensionen - wird durch das Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt und sei gesellschaftlich gewünscht. Da es keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Risiken des Kinesiologie-Tapes gibt, war auch eine Abwägung mit dem Schutzgut der öffentlichen Gesundheit in diesem Fall nicht erforderlich.
Im Rahmen seiner Entscheidung hatte der BGH zum wiederholten Male die Frage nach der Reichweite des rechtlichen Verantwortungsbereichs von Händlern zu beantworten, die ihre Produkte zum Verkauf auf Amazon anbieten. In dem jüngst entschiedenen Fall geht es allerdings um Produktbewertungen von Kunden, die wegen der klaren Abgrenzung zur Produktbeschreibung dem Verkäufer nicht zugerechnet werden können.
Die Kundenrezensionen auf Amazon sind ein integraler Bestandteile des Plattform-Konzepts. Kunden haben hieran ein besonderes Interesse, da Kundenrezensionen in Zeiten zunehmenden Online-Handels ggf. sogar die persönliche Inaugenscheinnahme eines Produktes ersetzen. Im hier geschilderten Fall ist für den Verbraucherkreis klar erkennbar, dass es sich nicht um Produktinformationen des Herstellers handelt. Auch ein „zu-Eigen-machen“ der Bewertungen durch den Verkäufer kann aufgrund der grafischen Gestaltung des Produktangebots nicht angenommen werden.
Verkäufer medizinischer Produkte müssen vor diesem Hintergrund nicht länger fürchten, für die Produktbewertungen bei Amazon durch unabhängige Dritte verantwortlich gemacht zu werden. Dies dürfte auch für andere Online-Handelsplattformen gelten, solange klar und eindeutig zwischen Produktinformation des Verkäufers und subjektiver Bewertung eines Kunden differenziert werden kann. Gekaufte, fingierte und sonstige Fake-Bewertungen bleiben aber auch nach dem BGH-Urteil unzulässig.
Dr. Daniel Bischof
Counsel
Hamburg
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