27.05.2015

Commercial Q2/2015

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Genese der neuen Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)

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Am 1. Juni 2015 tritt die neue Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) in Deutschland in Kraft. Einer entsprechenden Vorlage hat die Bundesregierung in ihrer ersten Kabinettssitzung des Jahres 2015 zugestimmt.

Durch die nun beschlossenen Änderungen soll die bisherige Betriebssicherheitsverordnung aus dem Jahr 2002 an die aktuellen Anforderungen angepasst werden. Dies zeigt sich neben inhaltlichen Neuerungen (hierzu im Überblick nachfolgend) nicht zuletzt auch durch zahlreiche sprachliche Überarbeitungen sowie eine geänderte Struktur. Wie die bisherige Verordnung dient das neue Gesetzeswerk der Umsetzung der Richtlinien 2009/104/EG sowie 1999/92/EG.

Ziel der überarbeiteten Betriebssicherheitsverordnung ist eine Verbesserung des Arbeitsschutzes bei der Verwendung von Arbeitsmitteln durch Beschäftigte sowie des Schutzes Dritter beim Betrieb von bewachungsbedürftigen Anlagen. Der Gesetzgeber beabsichtigt zudem, gerade auch Kleinen und Mittleren Unternehmen die Anwendung der Regelungen des Arbeitsschutzes zu erleichtern und hierdurch eine Verbesserung des Arbeitsschutzes zu erreichen. Dabei hatte der Gesetzgeber bei der Neukonzeption insbesondere Unfallschwerpunkte – wie etwa Instandhaltung, besondere Betriebszustände, Betriebsstörungen oder Manipulationen – im Auge. Auch die psychischen Belastungen sollen durch die Neufassung verringert und eine alters- und alternsgerechten Arbeitsumwelt erreicht werden. Die erfolgten Änderungen sind in einer Linie mit weiteren modernen Arbeitsschutzverordnungen zu sehen.

Inhalt der Betriebssicherheitsverordnung – einschließlich ausgewählter Neuerungen

Im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Betriebssicherheitsverordnung ergibt sich aus ihrem § 1 zunächst, dass diese grundsätzlich für alle Arbeitsmittel gilt. Aus § 2 Absatz 2 der Verordnung folgt weiter, dass unter Arbeitsmitteln „Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen einschließlich überwachungsbedürftiger Anlagen“ zu verstehen sind. Im Hinblick auf die in den Schutzbereich einbezogenen Personen ist zukünftig zu beachten, dass durch die Verordnung auch „andere Personen“, sprich sog. Dritte, geschützt werden, sofern diese in den Gefahrenbereich von bestimmten, in Anhang 2 zu der Betriebssicherheitsverordnung näher beschriebenen Anlagen, fallen (vgl. § 1 Nr. 3 BetrSichV). Entsprechendes gilt es in Zukunft beim Betrieb dieser Anlagen zu beachten. Aus einem weiteren Anhang, dem neuen Anhang 3, ergeben sich für hier näher bezeichnete sog. „bestimmte Arbeitsmittel“ im Einzelnen beschriebene Vorgaben im Hinblick auf die durchzuführenden Prüfungen. Diesen Arbeitsmitteln ist gemeinsam, dass es sich in der Regel um solche handelt, von welchen bei ihrer Anwendung besondere Gefahren für den Verwender ausgehen.

In inhaltlicher Hinsicht hat sich der Gesetzgeber für eine dahingehende Konzeption entschieden, nach welcher die zu beachtenden Anforderungen als Schutzziele (vgl. etwa § 1 Absatz 1 BetrSichV) ausgestaltet sind. Dabei gelten die genannten Schutzziele in Zukunft neben alten, auch für neue sowie selbst hergestellte Arbeitsmittel in gleicher Weise, woraus sich ergibt, dass es keiner besonderen, Bestandsschutzregelung bedarf; diese war in der Vergangenheit gerade strittig.

Die Neuregelung sieht vor, dass der Arbeitgeber im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung eigenverantwortlich darüber entscheiden muss, ob etwaige Nachrüstmaßnahmen erforderlich sind. Von der Durchführung der genannten Gefährdungsbeurteilung entbindet nach dem insoweit ausdrücklichen Wortlaut der Verordnung auch das Vorhandensein einer CE-Kennzeichnung nicht (vgl. § 3 Absatz 1 BetrSichV). Bei der genannten Gefährdungsbeurteilung sind zukünftig entsprechend dem bereits vorstehend genannten Ziel des Gesetzgebers u. a. die physischen und psychischen Belastungen der Beschäftigten bei der Verwendung der Arbeitsmittel zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Gebrauchstauglichkeit von Arbeitsmitteln einschließlich ihrer ergonomischen sowie alters- und alternsgerechten Gestaltung (vgl. § 3 Absatz 2 BetrSichV).

Weiter sind im Rahmen der Neufassung der Betriebssicherheitsverordnung gewisse Doppelregelungen etwa im Hinblick auf die Prüfung von Arbeitsmitteln und den Explosionsschutz ersatzlos gestrichen worden. Für bestimmte Arbeitsmittel, von welchen eine geringere Gefahr ausgeht, sieht die neugefasste Betriebssicherheitsverordnung bestimmte Erleichterungen vor, auf welche der Arbeitgeber zurückgreifen kann. Zu einer Erleichterung dürfte es zukünftig auch beitragen, dass es dem Arbeitgeber ausdrücklich ermöglicht wird, Prüfaufzeichnungen zukünftig auch in elektronischer Form aufzubewahren (vgl. § 14 Absatz 7 BetrSichV). Hierbei wird es jedoch in der Praxis darauf ankommen, dass diese Aufbewahrung dauerhaft erfolgt und zudem insbesondere etwaige datenschutzrechtliche Anforderungen beachtet werden.

Im Hinblick auf die Kategorisierung von Änderungen an Arbeitsmitteln hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, in Bezug auf binnenmarktkonforme Arbeitsmittel zukünftig nicht mehr zwischen Änderungen und wesentlichen Veränderungen zu differenzieren, wie dies jedoch etwa noch die Begriffsbestimmung in § 2 Absatz 6 der bisherigen Betriebssicherheitsverordnung vorgesehen hat. Auf diese Differenzierung bezugnehmend enthielt § 12 Absatz 2 der bisherigen Verordnung etwa Vorgaben für die Inbetriebnahme von überwachungsbedürftigen Anlagen. Durch die nun vorgenommene Neufassung beabsichtigt der Gesetzgeber die bisherigen Unklarheiten bei der Unterscheidung zwischen Änderungen und wesentlichen Veränderungen auszuräumen. Auch dies sollte im Ergebnis in Zukunft zu einer anwenderfreundlicheren Ausgestaltung der zu beachtenden Vorgaben beitragen.

Unser Kommentar

Inwieweit das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel erreicht wird, insbesondere Kleinen und Mittleren Unternehmen die Anwendung von arbeitsschutzrechtlichen Regelungen zu erleichtern und hierdurch tatsächlich den Arbeitsschutz zu verbessern, wird letztlich nur die Praxis zeigen. Gleichwohl erfordern die neu konzipierten Vorgaben nicht nur von Kleinen und Mittleren Unternehmen etwa im Hinblick auf die Frage, inwieweit die vorgesehenen Ausnahmetatbestände zum Tragen kommen, eine gewissenhafte und fachkundige Prüfung im Einzelfall.

Abzuwarten bleibt auch die Beantwortung der Frage, ob – wie vom Gesetzgeber angestrebt – durch die geänderte Verordnung für die Wirtschaft der Erfüllungsaufwand lediglich in einem geringen Umfang verändert wird. Zweifel bestehen nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass durch die Neufassung der Verordnung bereits ein nicht zu vernachlässigender Umstellungsaufwand der unternehmensinternen Dokumentation entstehen wird, da bereits bei der Neufassung dieser Dokumente auf eine gesetzeskonforme Umsetzung zu achten ist.

Jens-Uwe Heuer-James
Partner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hannover
Telefon +49 511 5458 20226
jens.heuer-james@luther-lawfirm.com

 

Dr. Kuuya Josef Chibanguza, LL.B.
Partner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hannover
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kuuya.chibanguza@luther-lawfirm.com

 

Vertragsaufhebung nach UN-Kaufrecht nur ultima ratio

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(BGH, Urteil vom 24. September 2014 – VIII ZR 394/12)

Vorbemerkung

In unserer letzten Ausgabe des Newsletters hatten wir berichtet, dass der BGH in seiner Entscheidung vom 28. Mai 2014 (Az.: VIII ZR 94/13) bei Anwendung deutschen Schuldrechts eine Erheblichkeitsschwelle für den Rücktritt bei Sachmängeln festgelegt hat. In der vorliegenden Entscheidung hatte sich der BGH nun erneut mit der Frage zu beschäftigen, wann Mängel der Kaufsache derart erheblich sind, dass sie zu einer Vertragsaufhebung berechtigen. In diesem Fall richtete sich das Vertragsverhältnis jedoch nach dem grundlegend vom BGB verschiedenen UN-Kaufrecht.

Der Fall

Die in Deutschland ansässige Beklagte, ein Zulieferbetrieb für die Automobilindustrie, und die ungarische Klägerin hatten mehrere Verträge zur Lieferung von Spritzgusswerkzeugen geschlossen. Die Beklagte rügte das Vorliegen von Mängeln der gelieferten Werkzeuge. Nachdem die Klägerin die behaupteten Mängel nicht zur Zufriedenheit der Beklagten beheben konnte, erklärte diese schließlich die Aufhebung des Vertrages und verlangte Schadensersatz. Bezüglich eines weiteren Vertrages erklärte sie noch vor Auslieferung des Werkzeugs den Rücktritt vom Vertrag. In der Zwischenzeit hatte die Beklagte bei sämtlichen Werkzeugen die gerügten Mängel selbst behoben und diese hiernach in der Produktion eingesetzt. Mit der Klage begehrt die Klägerin die Vergütung aus den streitgegenständlichen fünf Aufträgen. Die Beklagte trug vor, die Vergütungsforderungen seien entfallen, da sie den „Rücktritt vom Vertrag“ und außerdem die Aufrechnung gegen die Klageforderung mit ihren Aufwendungen zur Mängelbeseitigung erklärt habe.

Die Entscheidung

Der BGH führte zunächst klarstellend aus, dass auf die Verträge das UN-Kaufrecht (CISG) anwendbar sei. Dies sei gemäß Art. 3 Abs. 1 CISG nicht nur auf Kaufverträge, sondern auch auf Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Waren anzuwenden. Infolgedessen sind auch Zulieferverträge Kaufverträgen gleichzustellen, wenn der Zulieferer die zu liefernden Waren nach Vorgaben und Anweisungen des Auftraggebers herstellt. Der BGH stellte fest, dass die Beklagte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zur Aufhebung des Vertrages berechtigt war. Zwar könne die für eine Vertragsaufhebung gemäß Art. 49 CISG erforderliche wesentliche Vertragsverletzung gemäß Art. 25 CISG auch in der Lieferung vertragswidriger Waren liegen. Wesentlich sei ein solcher Pflichtenverstoß jedoch nur dann, wenn er die berechtigten Vertragserwartungen der anderen Partei so sehr beeinträchtige, dass deren Interesse an der Erfüllung des Vertrags im Wesentlichen entfalle. In erster Linie sei dabei auf die getroffenen Parteivereinbarungen abzustellen. Soweit solche fehlten, sei auf die Tendenz des UN-Kaufrechts Rücksicht zu nehmen, die Vertragsaufhebung zu Gunsten der anderen in Betracht kommenden Rechtsbehelfe zurückzudrängen. Die Rückabwicklung solle dem Verkäufer nur als ultima ratio zur Verfügung stehen. Der BGH stellte fest, dass dabei nicht allein auf die Schwere der Mängel abzustellen sei. Die mangelhafte Ware müsse für den Käufer weitgehend ohne Nutzen sein. Sofern der Käufer die Ware – wenn auch unter Einschränkungen – nutzen könne, sei eine wesentliche Vertragsverletzung in der Regel zu verneinen. Sofern eine anderweitige Verarbeitung oder ein Absatz der Ware im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, gegebenenfalls mit einem Preisabschlag und ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich und zumutbar sei, liege keine wesentliche Vertragsverletzung vor. Die wesentliche Vertragsverletzung sei auch dann zu verneinen, wenn die mangelhafte Sache für den vorgesehenen Zweck auf Dauer verwendet werde, weil hierdurch gezeigt werde, dass sie für den Käufer nicht ohne Interesse gewesen sei. Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte die vorhandenen Mängel selbst behoben und die Werkzeuge anschließend in der Produktion eingesetzt. Diesem Umstand kam nach der Auffassung des BGH eine entscheidende Bedeutung zu, die das Berufungsgericht verkannt habe. Dieses Ergebnis sei hier ungeachtet dessen sachgerecht, dass nicht unerhebliche Mängel vorgelegen hätten, die Klägerin über ein Jahr lang erfolglos nachgebessert habe und die Beklagte unter erheblichem Termindruck gestanden habe. Alleine der Umstand, dass die Beklagte die Werkzeuge selbst repariert und im eigenen Betrieb eingesetzt habe, zeigten, dass das Interesse der Beklagten zu keinem Zeitpunkt auf eine Rückabwicklung der beiden Verträge gerichtet gewesen sei.

Hinsichtlich der von der Beklagten geltend gemachten Auf­rechnung mit ihren Gegenforderungen wegen behaupteter Mängelbeseitigungsaufwendungen stellte der BGH fest, dass diese zwar weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedürften, eine Aufrechnung aber grundsätzlich möglich sei. Diese Aufrechnung richte sich vorliegend nach dem UN-Kaufrecht. Der BGH räumte zwar ein, dass die Voraussetzungen der Aufrechnung grundsätzlich nach der für die Hauptforderung maßgeblichen Rechtsordnung, hier also dem ungarischen Recht, zu beurteilen seien. Das UN-Kaufrecht regele die Aufrechnung als solche nicht. Die Frage der Anwendbarkeit des hier maßgeblichen Rechts sei jedoch bisher nicht höchstrichterlich geklärt. Zwar spreche sich die herrschende Meinung in der Literatur in diesen Fällen für die Anwendbarkeit der für die Hauptforderung maßgeblichen Rechtsordnung aus, hier also des ungarischen Rechts. Der BGH folgte hingegen der Mindermeinung und führte aus, dass das UN-Kaufrecht zwar keine ausdrückliche Regelung über die Aufrechnung enthalte und in seinem sachlichen Geltungsbereich insoweit eingeschränkt sei. Art. 7 Abs. 2 CISG sehe aber vor, dass Fragen, die vom UN-Kaufrecht erfasste Gegenstände betreffen, jedoch nicht ausdrücklich im Übereinkommen geregelt sind, vorrangig nach den dem Übereinkommen zu Grunde liegenden allgemeinen Grundsätzen und erst in zweiter Linie nach dem Recht zu beurteilen seien, das nach den Regeln des internationalen Rechts anzuwenden ist. Der BGH führte an dieser Stelle weitere Argumente auf, warum in dieser Konstellation das UN-Kaufrecht für die Aufrechnung anwendbar sei und zitierte eine ganze Reihe von CISG-Artikeln, aus denen sich gerade dieser Rechtsgedanke ergebe. Die in der Entscheidung ausführlich dargestellten Grundsätze gelten nach Auffassung des BGH allerdings nur für eine Aufrechnung von Ansprüchen innerhalb eines einheitlichen Vertragsverhältnisses. Im vorliegenden Fall machte der Kläger eine Kaufpreisforderung geltend, die sich aus Kaufpreisansprüchen aus fünf Lieferverhältnissen zusammensetzte. Die Beklagte habe diesen einzelnen Lieferverhältnissen zurechenbare Schadensersatzansprüche geltend gemacht und mit diesen aufgerechnet.

Unser Kommentar

Mit der Entscheidung stellt der BGH (erneut) klar, dass die Vertragsaufhebung im UN Kaufrecht nur ultima ratio sein darf. Dies verdeutlicht wieder einmal den grundlegenden Unterschied zum deutschen BGB, wonach die Aufhebung des Vertrages nur für solche Fälle ausgeschlossen ist, in denen die Pflichtverletzung unerheblich ist. Diese grundlegende Unterscheidung und das sich hieraus ergebende Delta zwischen deutschem BGB einerseits und UN-Kaufrecht andererseits rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass das UN-Kaufrecht den Transport der Waren ins Ausland und die damit verbundenen Transportkosten berücksichtigt. So legen Waren im Rahmen von internationalen Kaufverträgen in der Regel weitaus längere Distanzen zurück, als dies bei nationalen Verträgen der Fall ist – hierdurch steigen auch die Transport- und Abwicklungskosten, was innerhalb des Rechtsbehelfs „Aufhebung“ berücksichtigt wird.

Ungeachtet dessen steht den Vertragsparteien jedoch nach herrschender Ansicht das Recht zur Vertragsaufhebung zu, sofern die Pflichtverletzung der anderen Partei eine „wesentliche Vertragsverletzung“ darstellt. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine wesentliche Vertragsverletzung nur selten eingreifen, sollten die Vertragsparteien im Rahmen des Vertrages definieren, ab wann eine Vertragsverletzung „wesentlich“ ist. Hierbei ist darauf zu achten, ob der Vertrag als Individualvertrag oder als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) anzusehen ist, da innerhalb von AGB nach dem jeweils anwendbaren nationalen Sachrecht geprüft wird, ob die Vereinbarung einer „wesentlichen Vertragspflicht“ eine unangemessene Benachteiligung oder z. B. nach österreichischem Recht eine gröbliche Benachteiligung des Vertragspartners darstellt. Sofern die Definition im Vertrag wirksam ist, ist diese dann bei der Auslegung des Vertrages vorrangig zu berücksichtigen.

Hinsichtlich des anwendbaren Rechts bei der Aufrechnung stellt sich der BGH gegen die herrschende Meinung in der Literatur und wendet nicht das nationale Sachrecht, sondern das UN-Kaufrecht an. Dieses findet vorliegend gemäß den Ausführungen des BGH Anwendung, da sich „konventionsinterne Forderungen“ zur Verrechnung gegenüberstehen und auf solche Forderungen das UN-Kaufrecht direkt Anwendung findet. Folglich ist in der Praxis zukünftig vor einer Aufrechnung immer zu prüfen, ob es sich bei den Forderungen um konventionsinterne Forderungen handelt, oder ob ein zu verrechnender Anspruch nicht der Konvention – also dem Kaufrecht oder seinen Folgen – zugeordnet werden kann und insoweit nationales Sachrecht zur Anwendung kommt.

Dr. Steffen Gaber, LL.M. (Sydney)
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Stuttgart
Telefon +49 711 9338 19192
steffen.gaber@luther-lawfirm.com

 

Karolin Hoffmann
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Stuttgart
Telefon +49 711 9338 16082
karolin.hoffmann@luther-lawfirm.com

 

Neue Europäische Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) in Kraft getreten

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Am 10. Januar 2015 ist die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) in Kraft getreten. Diese Verordnung ersetzt die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO a.F.) und bringt insbesondere folgende Neuerungen mit sich:

Verbesserung der Durchsetzbarkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber missbräuchlichen Prozesstaktiken

Die bisherige Regelung

Nach bisherigem Recht konnte der Anspruchsgegner die drohende Erhebung einer Klage durch den Anspruchsteller vor dem nach der Vereinbarung der Parteien ausschließlich zuständigen Gericht eines Mitgliedstaats durch die vorherige Erhebung einer negativen Feststellungsklage vor dem nach der Vereinbarung unzuständigen Gericht eines anderen Mitgliedstaats blockieren (sog. „Torpedo-Klagen“). Denn nach Artikel 27 EuGVVO a.F. musste, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Hierdurch wurde die Entscheidung des später angerufenen Gerichts erheblich verzögert, auch wenn das später angerufene Gericht nach der Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien für die Entscheidung des Rechtsstreits ausschließlich zuständig war.

Die Neuregelung

Um die Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbessern und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden, sieht die EuGVVO nun eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel vor, um eine befriedigende Regelung in einem Fall zu erreichen, in dem ein Verfahren bei einem Gericht, das nicht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart wurde, anhängig gemacht wird und später das vereinbarte Gericht wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien angerufen wird. In einem solchen Fall muss das zuerst angerufene Gericht das Verfahren aussetzen, sobald das vereinbarte Gericht angerufen wurde, und zwar so lange, bis das auf der Grundlage der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung angerufene Gericht erklärt hat, dass es gemäß der Vereinbarung nicht zuständig ist (Artikel 31 Absatz 2 EuGVVO). Hierdurch soll in einem solchen Fall sichergestellt werden, dass das vereinbarte Gericht vorrangig über die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und darüber entscheidet, inwieweit die Vereinbarung auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit Anwendung findet. Sobald das in der Gerichtsstandsvereinbarung bezeichnete Gericht die Zuständigkeit gemäß der Vereinbarung festgestellt hat, haben sich die Gerichte des anderen Mitgliedstaats zugunsten dieses Gerichts für unzuständig zu erklären (Artikel 31 Absatz 3 EuGVVO).

Bewertung

Die Neuregelung verbessert die Durchsetzbarkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber missbräuchlichen Prozesstaktiken. Die Möglichkeit einer Partei, einen drohenden Rechtsstreit durch die Erhebung einer sog. „Torpedo-Klage“ vor dem nach der Gerichts­standsvereinbarung der Parteien unzuständigen Gericht eines anderen Mitgliedstaats erheblich zu verzögern, wird dadurch eingeschränkt.

Erleichterung der Vollstreckung von Entscheidungen in einem anderen Mitgliedstaat

Die bisherige Regelung

Nach bisherigem Recht wurden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind (Artikel 38 Absatz 1 EuGVVO a.F.). Unter „Entscheidung“ im Sinne der Verordnung war und ist jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung zu verstehen, ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten (Artikel 32 Absatz 1 EuGVVO a.F.; Artikel 2 Buchstabe a) Satz 1 EuGVVO).

Der Antrag war an das für den Wohnsitz des Schuldners oder an das für den Ort, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, örtlich zuständige Gericht oder die sonst befugte Stelle zu richten (Artikel 39 EuGVVO a.F.). Für die Antragstellung war das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats maßgebend (Artikel 40 Absatz 1 EuGVVO a.F.). Für das Verfahren hatte der Antragsteller im Bezirk des angerufenen Gerichts ein Wahldomizil zu begründen oder, wenn das Wahldomizil im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats nicht vorgesehen ist, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen (Artikel 40 Absatz 2 EuGVVO a.F.). Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung konnte jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen (Artikel 43 EuGVVO a.F.).

Die Neuregelung

Durch die Neuregelung entfällt die Vollstreckbarerklärung, die der Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat bisher vorausgehen musste. Eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, die in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar ist, ist danach in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf (Artikel 39 EuGVVO). Soll in einem Mitgliedstaat eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung vollstreckt werden, hat die Partei, die die Vollstreckung beantragt, der zuständigen Vollstreckungsbehörde nur eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, und die unter Verwendung eines Formblatts ausgestellte Bescheinigung, mit der bestätigt wird, dass die Entscheidung vollstreckbar ist, und die einen Auszug aus der Entscheidung sowie gegebenenfalls relevante Angaben zu den erstattungsfähigen Kosten des Verfahrens und der Berechnung der Zinsen enthält, vorzulegen (Artikel 42 Absatz 1 EuGVVO).

Der Schuldner kann die Versagung der Vollstreckung einer Entscheidung nur beantragen, wenn er der Auffassung ist, dass einer der Gründe für die Versagung der Anerkennung vorliegt (Artikel 46 EuGVVO). Ein Versagungsgrund liegt danach nur vor, wenn

  • die Vollstreckung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde;
  • dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte;
  • die Entscheidung mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist;
  • die Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung im ersuchten Mitgliedstaat erfüllt, oder
  • die Entscheidung unvereinbar ist mit den Bestimmungen über die Zuständigkeit für Versicherungssachen, bei Verbrauchersachen oder für individuelle Arbeitsverträge, sofern der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter des Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist, oder mit den Bestimmungen über die ausschließlichen Zuständigkeiten.

Bewertung

Nach der Neuregelung soll eine von den Gerichten eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung so behandelt werden, als sei sie im ersuchten Mitgliedstaat ergangen. In jedem Fall reduziert sich der Zeit- und Kostenaufwand bei der Vollstreckung von Entscheidungen in grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten durch die Abschaffung der Vollstreckbarerklärung, die der Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat bisher vorausgehen musste.

Dr. Hans-Peter Hufschlag
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
Telefon +49 211 5660 18735
hans-peter.hufschlag@luther-lawfirm.com

 

Ersatzfähigkeit der Kosten privater Sachverständiger zur Mangelfeststellung

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(BGH, Urteil vom 30. April 2014 – VIII ZR 275/13)

Vorbemerkung

Dem Käufer mangelhafter Waren stehen nach dem Gesetz Gewährleistungsrechte gegen den Verkäufer zu. Ist das Vorliegen eines Mangels der Kaufsache zwischen Käufer und Verkäufer umstritten, obliegt die Beweislast für das Bestehen eines Mangels – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – dem Käufer. Insbesondere in Fällen, in denen streitig ist, ob die konkrete Mangelerscheinung dem streitgegenständlichen Produkt tatsächlich bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs anhaftete oder diese erst infolge eines fehlerhaften Umgangs mit dem Produkt seitens des Käufers aufgetreten ist, wird dem Käufer oftmals nichts anderes übrig bleiben, als auf eigene Kosten einen privaten Sachverständigen mit der Begutachtung der Kaufsache zu beauftragen. Zwar sind die Kosten für die Einholung eines privaten Gutachtens zur Feststellung eines Mangels als Mangelfolgeschäden grundsätzlich erstattungsfähig, wenn sich die Kaufsache im Ergebnis tatsächlich als mangelhaft herausstellt. Ein solcher Schadensersatzanspruch des Käufers setzt jedoch das Vertretenmüssen des Verkäufers voraus, welches dieser im Hinblick auf die Mangelhaftigkeit der Kaufsache – wenn er nicht zugleich Hersteller derselben ist – oft widerlegen können wird. Ein Verschulden des Herstellers ist ihm regelmäßig nicht zuzurechnen. Ist der Verkäufer daher nicht zugleich Hersteller der mangelhaften Kaufsache, drohte der Käufer bislang auf den Kosten für die Einholung des privaten Gutachtens sitzenzubleiben.

 

Der Fall

 

 

Die Kläger kauften bei der Beklagten, die mit Bodenbelägen handelt, Massivholz-Fertigparkett, das sie anschließend von einem Schreiner in ihrem Wohnhaus verlegen ließen. Der beauftragte Schreiner ging hierbei nach einer von der Beklagten mitgelieferten Verlegeanleitung vor, die von der Herstellerin des Fertigparketts stammte. In der Folgezeit traten an dem verlegten Parkett Verwölbungen auf. Die von den Klägern erhobene Mängelrüge wies die Beklagte zurück. Die Kläger beauftragten daraufhin einen privaten Sachverständigen mit der Begutachtung der Mangelerscheinungen. Der Privatgutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Veränderungen des Parketts auf eine in diesem Fall ungeeignete, in der mitgelieferten Verlegeanleitung aber als zulässig und möglich empfohlene Art der Verlegung zurückzuführen seien. Hierauf gestützt begehrten die Kläger eine Minderung des Kaufpreises um 30 % sowie die Erstattung der Gutachterkosten. Ihrer Klage wurde erstinstanzlich jedoch nur hinsichtlich des Minderungsbetrags stattgegeben. Auf die Berufung der Kläger wurde ihnen schließlich auch der Ersatz der Sachverständigenkosten zugesprochen.

In der von der Herstellerin des Fertigparketts als Streithelferin eingelegten Revision hatte der BGH nunmehr die umstrittene Frage zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der Ursache eines Mangels und der Verantwortlichkeit für diesen Mangel zu den erforderlichen Kosten der Nacherfüllung gehören, welche der Verkäufer nach dem Gesetz (§ 439 Abs. 2 BGB) ohne Rücksicht auf ein eigenes Verschulden zu tragen hat – und was gilt, wenn der Käufer letztlich nicht Nacherfüllung, sondern Minderung des Kaufpreises verlangt.

Die Entscheidung

Nach Auffassung des BGH steht den Klägern der vom Berufungsgericht bejahte, verschuldensunabhängige Anspruch auf Erstattung der Kosten des Privatgutachtens zu. Insbesondere handele es sich bei den von den Klägern aufgewandten Kosten für die Einholung des Sachverständigengutachtens um Aufwendungen „zum Zwecke der Nacherfüllung“. Denn die zur Klärung der Mangelursache erforderlichen Sachverständigenkosten seien mit der Zielrichtung, dem Käufer die Durchsetzung eines daran anknüpfenden Nacherfüllungsanspruchs zu ermöglichen, aufgewandt worden. So erfasse die Vorschrift des § 439 Abs. 2 BGB nach der Ansicht des BGH nicht nur die bei einer bereits durchgeführten Nacherfüllung entstandenen Folge- und Begleitkosten. Ebenso seien Kosten zu ersetzen, die zur Klärung der Mangelursache und mithin zur späteren Durchsetzung eines Nacherfüllungsanspruchs erforderlich seien. Dieses Verständnis sei mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar und spiegele sich bereits in deren Entstehungsgeschichte wider. Denn für die in dieser Vorschrift übernommene Vorgängerregelung war durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt, dass es sich um eine eigenständige, von einem Verschulden des Verkäufers unabhängige Anspruchsgrundlage des Käufers auf Erstattung seiner notwendigen Aufwendungen handelte. Dazu zählten auch Kosten, die für ein die Schadensursache untersuchendes und der Vorbereitung der Nachbesserung dienendes Gutachten aufgewandt werden.

Dem verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch der Kläger stehe auch nicht entgegen, dass diese nach der Erstellung des Privatgutachtens nicht mehr Nacherfüllung verlangten, sondern den Kaufpreis gemindert hätten. Entscheidend sei, dass die angefallenen Sachverständigenkosten zum Zeitpunkt ihrer für den Ersatzanspruch maßgeblichen Entstehung zumindest auch zum Zwecke der Nacherfüllung als dem den anderen Gewährleistungsrechten vorgeschalteten Gewährleistungsrecht aufgewandt worden und aus damaliger Sicht zur Klärung der Ursache des Mangels und seiner Zurechnung erforderlich gewesen seien. Ob derartige Aufwendungen anschließend tatsächlich zu einer (erfolgreichen) Nacherfüllung führten, sei nach der Auffassung des BGH für den einmal entstandenen Anspruch ohne Bedeutung. Der Anspruch bestünde auch bei Übergang zur Minderung fort, was ebenso gelten müsse, wenn dem Käufer aufgrund der Erfüllungsverweigerung des Verkäufers nur der Weg zur Minderung bzw. zum Rücktritt vom Kaufvertrag offenstünde.

Unser Kommentar

Der BGH hat mit seiner Entscheidung eine in der Praxis höchst relevante, in ihrer Beantwortung bislang gleichwohl äußerst umstrittene Streitfrage geklärt. Zugunsten des Käufers einer mangelhaften Sache steht nunmehr höchstrichterlich fest, dass der Verkäufer auch solche vorprozessualen Aufwendungen des Käufers – unabhängig vom Vorliegen eines eigenen Verschuldens des Verkäufers an dem Mangel der Kaufsache – zu erstatten hat, die nötig sind, um die Ursache der Mangelerscheinungen aufzufinden und auf diese Weise die Verantwortlichkeit für den Mangel zu klären. Im Gegensatz zu anderen Entscheidungen des BGH im Bereich des Kaufrechts aus jüngerer Zeit, in denen etwa der kaufvertragliche Nacherfüllungsanspruch auf eine Ein- und Ausbaupflicht des Verkäufers der mangelhaften Sache ausgedehnt wurde, gilt dies nicht nur im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs, sondern auch im rein unternehmerischen Bereich. Denn der BGH stützt sich bei seiner Entscheidung nicht etwa auf eine richtlinienkonforme Auslegung der EU-Verbraucherschutzrichtlinie, sondern begründet seine Entscheidung mit der Entstehungsgeschichte der Regelung des § 439 Abs. 2 BGB. Von Bedeutung ist auch, dass dem Ersatzanspruch aus § 439 Abs. 2 BGB nicht entgegensteht, wenn der Käufer nach der Gutachtenerstattung nicht mehr Nacherfüllung verlangt, sondern stattdessen den Kaufpreis mindert. Da es sich bei § 439 Abs. 2 BGB um eine eigene Anspruchsgrundlage handelt, kann der Käufer die Erstattung somit ggf. auch neben der Geltendmachung sekundärer Rechtsbehelfe wie Minderung oder Rücktritt verlangen.

Martin Schröder, Maître en droit (Paris)
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Köln
Telefon +49 221 9937 24869
martin.schroeder@luther-lawfirm.com

 

Haftung des Herstellers bei unzureichender Aufklärung über Gefahren bei einem vorhersehbaren Fehlgebrauch eines Produkts

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(OLG Nürnberg, Urteil vom 20. Mai 2014 – 4 U 206/14)

Vorbemerkung

Hersteller von Waren trifft die Verpflichtung, nur sichere Produkte in den Verkehr zu bringen. Dabei sind mit dem Produkt verbundene Gefahren grundsätzlich vorrangig durch konstruktive Maßnahmen zu vermeiden. Ist dies nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich oder zumutbar, so trifft den Hersteller zumindest eine Instruktionspflicht. Eine Haftung eines Herstellers für Schäden, die bei der Verwendung seines Produktes eintreten, kommt also nicht nur dann in Betracht, wenn das Produkt selbst fehlerhaft gewesen ist und nicht den Sicherheitsstandard aufgewiesen hat, den ein Benutzer von dem betroffenen Produkt erwarten darf. Vielmehr kann eine Haftung auch bei einem Produkt, das für sich betrachtet bei ordnungsgemäßer Verwendung völlig unbedenklich ist, daraus resultieren, dass der Hersteller nicht in ausreichendem Umfang erläutert hat, wie das Produkt zu benutzen ist und welche Gefahren von dem Produkt ausgehen. Wie die nachstehend erläuterte Entscheidung einmal mehr verdeutlicht, reicht es dabei nicht aus, Informationen und Hinweise allein auf die korrekte Form der Produktbenutzung zu beschränken – vielmehr muss der Hersteller auch einen vorsehbaren Fehlgebrauch des Produkts berücksichtigen und auch hierzu klare Warnhinweise aufnehmen.

Der Fall

Im Ausgangsfall begehrte der zum Unfallzeitpunkt 12 Jahre alte Kläger die Feststellung der Pflicht eines Mountainbikeherstellers zum Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden des Klägers, nachdem dieser sich bei einem Sturz bei Benutzung eines von diesem Unternehmen hergestellten Mountainbikes verletzt hatte. Zu dem Unfall kam es nach einem sogenannten „Wheelie“, also dem Fahren auf dem Hinterrad. Beim Wiederaufsetzen des Vorderrades brach der Rahmen des Mountainbikes, der Kläger stürzte und zog sich schwere Zahnverletzungen zu. Das erstinstanzlich angerufene Landgericht Weiden hielt die Klage mangels schadensursächlichen Fehlers des Produkts für unbegründet, nachdem der Sachverständige keinerlei Fabrikationsfehler feststellen konnte und Gebrauchsspuren darauf hindeuteten, dass mit dem Mountainbike regelmäßig Kunststücke gefahren wurden. Nach Auffassung des Landgerichts Weiden sei zwar bekannt, dass gerade jugendliche Personen derart mit Mountainbikes umgingen. Der Kläger habe jedoch nicht davon ausgehen können, dass ein handelsübliches Mountainbike über längere Zeit in dieser Weise beansprucht werden könne. Hierfür gäbe es bekanntermaßen spezielle, belastbarere Fahrräder wie Dirtbikes oder BMX. Daher könne nicht angenommen werden, dass das Mountainbike nicht die Sicherheit geboten hat, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, berechtigterweise erwartet werden kann.

Die Entscheidung

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Weiden war erfolgreich. Das OLG Nürnberg stellte einen schadensursächlichen Instruktionsfehler fest und begründete diesen mit der fehlenden Kategorisierung des Fahrradtyps in der Bedienungsanleitung. Die Anleitung warne zwar vor Gefahren bei ihrer Nichtbeachtung; spezifische Informationen zum sachgerechten Gebrauch sollten jedoch den Angaben zur erworbenen Fahrradkategorie entnommen werden. Eine ausdrückliche Einordnung des streitgegenständlichen Mountainbikes in Bezug auf dessen Nutzbarkeit sei jedoch unterblieben. Hieraus folgerte das Oberlandesgericht Nürnberg, dass es dem Kläger nicht möglich gewesen sei, den sachgerechten Gebrauch des Fahrrades zu ermitteln. Insbesondere sei es auch nicht als bekannt vorauszusetzen, dass der Kläger für die o. g. Art der Nutzung ein Dirtbike oder BMX-Rad hätte erwerben müssen. Zudem liege auch bei einer übermäßigen Beanspruchung des Mountainbikes durch regelmäßige Kunststücke noch ein naheliegender Fehlgebrauch vor, welchen der Hersteller zu berücksichtigen habe. Denn die Warnpflicht des Herstellers umfasse nicht nur Gefahren bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, sondern auch bei naheliegendem Fehlgebrauch. Nach Auffassung des Gerichts hätte der Kläger das Mountainbike nicht erworben, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass sich dieses nicht für die beabsichtigte Nutzung eignet. Insoweit habe der Instruktionsfehler letztendlich zu dem Rahmenbruch und dem Schaden des Klägers geführt.

Unser Kommentar

Über den konkreten Fall und das hier betroffene Produkt hinaus verdeutlicht die vorliegende Entscheidung generell die Wichtigkeit einer ordnungsgemäßen Produktinformation, d. h. insbesondere der sorgfältigen Darlegung des „zulässigen Einsatzgebietes“ des Produkts und der mit einer vorhersehbaren Fehlanwendung einhergehenden Gefahren. In der Praxis kollidieren hier oft vertriebliche Interessen – detaillierte Hinweise auf Gefahren und eine etwaige eingeschränkte Verwendbarkeit des Produkts werden selten als gutes Marketing-Instrument angesehen – mit dem Wunsch, mögliche Verletzungsgefahren und Haftungsrisiken so weit als möglich auszuschließen.

Allgemein ist im Rahmen der Instruktionspflicht zu beachten, dass zwar auf Gefahren, von deren Kenntnis man bei jedermann ausgehen kann, grundsätzlich nicht extra hingewiesen werden muss. Zudem kann bei Produkten, die sich an einem bestimmten Abnehmerkreis („Profis“) richten, auch zusätzlich sogar in gewissem Umfang Fachwissen vorausgesetzt werden. Handelt es sich bei den potentiellen Verwendern eines Produkts aber z. B. um Kinder oder Heranwachsende, so sind erhöhten Sicherheitserwartungen Rechnung zu tragen. Mit anderen Worten: Der Inhalt und der Umfang der erforderlichen Information hat sich insbesondere (auch) am Kreis der potentiellen Produktbenutzer zu orientieren. Der letztgenannte Punkt muss dabei auch bei einer Produktmigration im Auge behalten werden, d. h. zum Beispiel bei Maschinen, bei denen zunächst eine Benutzung im gewerblichen Bereich/durch fachkundiges Personal vorgesehen ist und bei denen der Hersteller im Laufe der Zeit allerdings feststellt, dass diese auch von Hobbyhandwerkern benutzt werden. Bei den Warnhinweisen ist zudem die vorhersehbare Gebrauchsdauer zu berücksichtigen, also etwa auf Risiken infolge von Abnutzung, Materialermüdung etc. hinzuweisen. Darüber hinaus gilt: Je größer die Gefahren für den Produktverwender, desto höher die Anforderungen an die Instruktion.

Guido Dornieden
Counsel
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Köln
Telefon +49 221 9937 24820
guido.dornieden@luther-lawfirm.com

 

Der Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren

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Dem durch die Insolvenzordnung geregelten Insolvenz­verfahren, welches der gemeinschaftlichen und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung dient, liegt das Prinzip der Gläubigerautonomie zugrunde. Gläubigerautonomie bedeutet, dass die Gläubiger über die Art und Weise der Masseverwertung, die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens und über die Gestaltung des Verfahrens entscheiden können. Die Gläubigerautonomie wird durch zwei zentrale Organe der Gläubiger im Insolvenzverfahren, namentlich die Gläubigerversammlung und den Gläubigerausschuss, gewährleistet. Während die Gläubigerversammlung die großen Linien des Insolvenzverfahrens bestimmt, ist der Gläubigerausschuss das Organ für die Mitwirkung der Gläubiger in Detailfragen.
Mit den nachstehenden Ausführungen soll ein Überblick über die den Gläubigerausschuss betreffenden Regelungen der Insolvenzordnung gegeben werden.

Arten von Gläubigerausschüssen

Die Insolvenzordnung kennt drei „Arten“ von Gläubigerausschüssen; den vorläufigen Gläubigerausschuss (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a InsO), den Interims-Gläubigerausschuss (§ 67 InsO) sowie den „endgültigen“ Gläubigerausschuss (§ 68 InsO). Ein vorläufiger Gläubigerausschuss ist vom Insolvenzgericht einzusetzen, wenn zwei der drei in § 22a Abs. 1 InsO näher bezeichneten Merkmale (Bilanzsumme mindestens EUR 4.840.000,00, Umsatzerlöse mindestens EUR 9.680.000,00, Mitarbeiter im Jahresdurchschnitt mindestens 50) erfüllt werden (= originär obligatorischer vorläufiger Gläubigerausschuss). Weiterhin soll ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden, wenn der Schuldner dies beantragt (§ 22a Abs. 2 InsO) (= originär obligatorischer vorläufiger Gläubigerausschuss). In allen anderen Fällen steht die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (= fakultativer vorläufiger Gläubigerausschuss). In allen drei Fällen ist die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ausgeschlossen, wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist, sie in Anbetracht der zu erwartenden Insolvenzmasse unverhältnismäßig erscheint oder wenn sie zu Verzögerungen führt, die nachteilige Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners erwarten lassen. Der Tätigkeitszeitraum des vorläufigen Gläubigerausschusses ist begrenzt auf die Zeit von der Insolvenzantragstellung bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Für die Zeit von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur ersten Gläubigerversammlung sieht die Insolvenzordnung einen Interims-Gläubigerausschuss vor, dessen Einsetzung nach § 67 InsO im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts steht. In Fällen, in denen ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt war, wird die Beibehaltung in der Regel zweckmäßig sein. In der ersten Gläubigerversammlung entscheiden dann die Gläubiger nach § 68 InsO frei darüber, ob und in welcher Besetzung ein Gläubigerausschuss für das weitere Verfahren beibehalten oder ggf. auch erstmalig eingesetzt werden soll („endgültiger“ Gläubigerausschuss). Im Rahmen der Gläubigerautonomie können die Gläubiger auch frei über die Abwahl, Ersetzung oder Ergänzung der Mitglieder eines Gläubigerausschusses entscheiden.

Zusammensetzung des Gläubigerausschusses

Eine gesetzliche Regelung für die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses enthält die Insolvenzordnung nur für den vorläufigen Gläubigerausschuss und den Interims-Gläubigerausschuss. Nach der entsprechenden Regelung (§ 67 Abs. 2 InsO) sollen im Gläubigerausschuss die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen, die Kleingläubiger und die Arbeitnehmer vertreten sein. Im Gegensatz zum Interims-Gläubigerausschuss, dem auch Nichtgläubiger angehören können (§ 67 Abs. 3 InsO), können Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses nur Personen sein, die Gläubiger sind oder mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden (z. B. Pensionssicherungsverein oder Bundesagentur für Arbeit). Diese Beschränkung für den vorläufigen Gläubigerausschuss ergibt sich aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO. Für den endgültigen Gläubigerausschuss, welcher durch die Gläubigerversammlung eingesetzt wird, bestehen hinsichtlich der Zusammensetzung keinerlei Einschränkungen.

Für jeden Gläubigerausschuss gilt, dass er mindestens aus zwei Mitgliedern bestehen muss. Für die Mitgliederzahl gibt es keine Obergrenze, in der Regel sollten es jedoch nicht mehr als sieben Mitglieder sein. Hinsichtlich der allgemeinen und persönlichen Anforderung an die Mitglieder bestehen keine gesetzlichen Regelungen. Als Mitglieder kommen sowohl natürliche als auch juristische Personen in Betracht. Ausgeschlossen sind der Insolvenzverwalter, der Schuldner sowie Personen, die in seinem Lager stehen. In Anbetracht einer fehlenden gesetzlichen Regelung dürfen keine allzu hohen persönlichen Anforderungen an die Mitglieder des Gläubigerausschusses gestellt werden. Allerdings sind ein hinreichender Sachverstand sowie die Unabhängigkeit von den Verfahrensbeteiligten, also auch von den Gläubigern, zu fordern. Die Unabhängigkeit betrifft allerdings lediglich die Amtsführung durch das bestellte Mitglied des Gläubigerausschusses, nicht seine Auswahl bei der Bestellung.

Verfahrensfragen

Zunächst sind die potentiellen Mitglieder eines Gläubigerausschusses zu ermitteln. Hinsichtlich des vorläufigen Gläubigerausschusses sieht die Insolvenzordnung die Pflicht des Schuldners zur Benennung von potentiellen Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses für den Fall vor, dass der Schuldner die Einsetzung eines Gläubigerausschusses beantragt (§ 22a Abs. 2 InsO). In diesem Fall hat der Schuldner seinem Antrag auch Einverständniserklärungen der benannten Personen beizufügen. In allen anderen Fällen eines vorläufigen Gläubigerausschusses kann das Gericht sowohl den Schuldner als auch den vorläufigen Insolvenzverwalter auffordern, geeignete Personen zu benennen (§ 22a Abs. 4 InsO). Für den Interims-Gläubigerausschuss fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung. Sofern ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt war, werden regelmäßig die bisherigen Gläubigerausschussmitglieder beizubehalten sein. Beruht die Einsetzung eines Interims-Gläubigerausschusses auf einer Anregung des Insolvenzverwalters, was häufig wegen zustimmungsbedürftiger Entscheidungen und Rechtshandlungen nach § 158 InsO der Fall ist, so benennt der Insolvenzverwalter regelmäßig zugleich geeignete Mitglieder. In allen anderen Fällen kann das Gericht, auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, sowohl den Insolvenzverwalter als auch den Schuldner zur Benennung geeigneter Personen auffordern. Hinsichtlich eines endgültigen Gläubigerausschusses bedarf es keiner Regelung, da die Gläubiger die von ihnen für geeignet gehaltenen Personen frei wählen können.

Die Bestellung erfolgt durch einen Einsetzungsbeschluss des Insolvenzgerichts. Das Amt beginnt jedoch erst durch die ausdrückliche Annahmeerklärung des bestellten Ausschussmitgliedes.

Das Amt des Gläubigerausschussmitgliedes kann auf verschiedene Arten enden. Das Amt endet ohne weiteres mit dem Ende des jeweiligen Gläubigerausschusses. Der vorläufige Gläubigerausschuss endet, wie oben bereits ausgeführt, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Interims-Gläubigerausschuss endet im Gegensatz dazu entweder durch Beschluss der Gläubigerversammlung, dass es künftig keines Gläubigerausschusses mehr bedarf. Ein fortgeführter Gläubigerausschuss endet mit dem Ende des Insolvenzverfahrens. Im Übrigen kann das Amt eines einzelnen Gläubigerausschussmitgliedes auch durch seine Abwahl im Rahmen der Gläubigerversammlung oder durch Entlassung aus wichtigem Grund (§ 70 InsO) enden. Da die Insolvenzordnung grundsätzlich keine Entlassung alleine aufgrund eines Antrags eines Gläubigerausschussmitgliedes vorsieht, bedarf auch ein solcher Antrag eines wichtigen Grundes.

Soweit über den vorläufigen Gläubigerausschuss Einfluss auf die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters genommen werden soll, ist zu beachten, dass es durch die Beteiligung nicht zu Verzögerungen kommen darf, da das Gericht eine solche Verzögerung zum Anlass nehmen kann, einen vorläufigen Insolvenzverwalter vor der Einsetzung und Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses – mit dem Hinweis auf die Gefahr einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners bei weiterem Zuwarten – einzusetzen (§ 56a Abs. 1 letzter Halbsatz InsO). Bei einem laufenden Geschäftsbetrieb neigen die Insolvenzgerichte dazu, eine nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners anzunehmen. Um zeitliche Verzögerungen durch die Einsetzung und Konstituierung des vorläufigen Gläubigerausschusses zu vermeiden, sollten in einem Insolvenzantrag nicht nur die potentiellen Gläubigerausschussmitglieder benannt und entsprechende Einverständniserklärungen beigefügt werden, sondern sollte auch eine sofortige Annahme der Bestellungen sowie eine umgehende Konstituierung des Gläubigerausschusses sichergestellt sein.

Aufgaben (Rechte und Pflichten) des Gläubigerausschusses

Die Aufgaben der Gläubigerausschüsse sind umfangreich, so dass nachfolgend lediglich einige wesentlichen Rechte und Pflichten dargestellt werden. Aufgabe aller Gläubigerausschüsse ist die Überwachung und Unterstützung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters/Sachwalters sowie des Schuldners in Eigenverwaltungsverfahren. Die Gläubigerausschüsse haben sich, angemessen zum jeweiligen Verfahrensstadium, über den Gang der Geschäfte zu unterrichten bzw. unterrichten zu lassen. Sie haben weiterhin Einsichts- und Prüfungsrechte sowie Einsichts- und Prüfungspflichten hinsichtlich der Bücher, Geschäftspapiere und insbesondere des Geldverkehrs und Geldbestandes. Eine zentrale Pflicht der Gläubigerausschussmitglieder ist die Verschwiegenheit hinsichtlich aller verfahrensrelevanter Tatsachen, die ihnen aufgrund ihres Amtes als Gläubigerausschussmitglied bekannt werden.

Der vorläufige Gläubigerausschuss ist zur Mitwirkung bei der Bestellung und ggf. zur bindenden Bestimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters oder vorläufigen Sachwalters berufen (§§ 56a, 270a Abs. 1 InsO). Eine für das Gericht grundsätzlich bindende Bestimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters kommt durch einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusse zustande, wovon das Gericht nur dann abweichen kann, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist.

Soweit das Gericht ohne Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses einen vorläufigen Insolvenzverwalter/Sachwalter bestellt hat, kann der vorläufige Gläubigerausschuss in seiner ersten Sitzung einstimmig einen anderen vorläufigen Insolvenzverwalter/Sachwalter wählen (§ 56a Abs. 3 InsO). Hiervon sollte der vorläufige Gläubigerausschuss in Anbetracht der damit verbundenen Kosten (u. a. doppelte Vergütungsansprüche) sowie der Verzögerungen und Unsicherheiten nur in Ausnahmefällen Gebrauch machen. Hingewiesen werden soll darauf, dass der vorläufige Gläubigerausschuss kein Mitbestimmungsrecht bei der Bestellung des vom Schuldner vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalters im Schutzschirmverfahren hat (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO). Der vorläufige Gläubigerausschuss kann allerdings in Schutzschirmverfahren Antrag auf Aufhebung des Schutzschirmverfahrens stellen, welcher ohne Weiteres bindend für das Insolvenzgericht ist (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO). In allen Fällen, in denen die Eigenverwaltung vom Schuldner beantragt wurde, hat der vorläufige Gläubigerausschuss das Recht, zu diesem Antrag Stellung zu nehmen (§ 270 Abs. 3 InsO). Der Interims-Gläubigerausschuss und der endgültige Gläubigerausschuss haben das Recht, die Entlassung des Insolvenzverwalters aus wichtigem Grund zu beantragen (§ 59 Abs. 1 Satz 2 InsO). Weiterhin hat der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Interims-Gläubigerausschusses zur Veräußerung oder Stilllegung des schuldnerischen Unternehmens vor dem Berichtstermin einzuholen (§ 158 Abs. 1 InsO). Zudem bedürfen besonders bedeutsamen Rechtshandlungen im Sinne des § 160 InsO im gesamten Insolvenzverfahren der Zustimmung des Gläubigerausschusses.

Entscheidungen der Gläubigerausschüsse

Die Gläubigerausschüsse entscheiden durch Beschluss (§ 72 InsO). Zur Gültigkeit eines Beschlusses bedarf dieser einer doppelten Mehrheit, namentlich die Teilnahme der Mehrheit der Mitglieder des Gläubigerausschusses an der beschlussfassenden Sitzung sowie die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Selbstorganisation

Die Insolvenzordnung enthält keine Regelungen zur Selbstorganisation des Gläubigerausschusses. Zur Sicherstellung wesentlicher Verfahrensfragen und zur Vermeidung etwaiger Haftungsrisiken ist es jedoch ratsam, dass sich der Gläubigerausschuss eine Geschäftsordnung gibt. Die Geschäftsordnung sollte folgende Punkte umfassen: Einberufung (Form, Frist, Turnus), ggf. Vorsitz, Beschlussfassung, Stimmverbote, Teilnahme an Beratung bei Stimmverbot, Protokoll und Verschwiegenheit.

Haftung

Bei schuldhaften Pflichtverletzungen haften die Mitglieder des Gläubigerausschusses den absonderungsberechtigten Gläubigern und den Insolvenzgläubigern für die hieraus resultierenden Schäden (§ 71 InsO). Die Haftung nach § 71 InsO setzt allerdings die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten voraus, d. h. es müssen Pflichten verletzt werden, die die Insolvenzordnung den Gläubigerausschussmitgliedern auferlegt. Hinsichtlich des Verschuldensmaßstabes enthält die Insolvenzordnung keine besonderen Regelungen, so dass eine Haftung bereits bei leichter Fahrlässigkeit möglich ist.

Vergütung

Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben, ebenso wie der Insolvenzverwalter, einen persönlichen Anspruch auf Vergütung und Auslagenerstattung aus der Insolvenzmasse (§ 73 Abs. 1 InsO). Der Vergütungsanspruch wird individuell beurteilt und ist daher nicht zwingend für alle Ausschussmitglieder gleich. Für die Bemessung der Vergütung sind der Zeitaufwand und der Umfang der Tätigkeit relevant. Der regelmäßige Stundensatz ist in § 17 InsVV geregelt und liegt zwischen EUR 35,00 und EUR 95,00 je Stunde.

Dr. Marcus Backes
Partner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Telefon +49 40 18067 246999
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