28.02.2025

Offene Immobilienfonds – eine spekulative Anlage? LG Nürnberg, Urt. v. 21.02.2025 - 4 HK 5879/24

Mit Urteil vom 21. Februar 2025 hat das Landgericht Nürnberg-Fürth (4 HK 5879/24) die beklagte Kapitalverwaltungsgesellschaft dazu verurteilt, es gegenüber Verbrauchern zu unterlassen, für den von ihr aufgelegten Immobilienfonds in Form eines PRIIP ein Basisinformationsblatt zu verwenden, in dem ein Risikoindikator von 2 bzw. von 3 angegeben wird. Das Gericht hat damit einer auf § 8 UWG gestützten Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e.V. stattgegeben. Das Urteil ist in den Medien auf breite Resonanz gestoßen; vor allem Verbraucheranwälte sehen eine Prozesslawine sowohl auf die Fondshäuser als auch auf die die Fondsanteile vertreibenden Banken zukommen.

Sachverhalt:

Die Beklagte verwaltet als Kapitalverwaltungsgesellschaft einen von ihr aufgelegten offenen Immobilienfonds. Bei dem Fonds handelt es sich um einen Alternativen Investmentfonds (AIF) in Form eines sog. PRIIP gemäß der Verordnung 1286/2014 vom 26.11.2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte („PRIIP-VO“). Die Kerninvestition des Fonds liegt in Wohnimmobilien. Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts wurden die Immobilien bei Erwerb und danach nicht länger als drei Monate mit dem Kaufpreis, anschließend mit dem arithmetischen Mittelwert der von zwei unabhängigen Bewertern ermittelten Verkehrswerte angesetzt. Dieser Wert wird für jede Immobilie alle drei Monate ermittelt. Die Beklagte lässt für den Fonds zu jedem Börsentag einen Rücknahmepreis errechnen.

Ende Juni 2024 wertete die Beklagte den Rücknahmepreis von EUR 50,74 auf EUR 42,26 je Anteil ab, was einem Preisrückgang von 16,71 % entspricht. Seit dem 17. Juli 2024 verwendet die Beklagte auf ihrem Basisinformationsblatt einen Gesamtrisikoindikator von „3“, nachdem sie zuvor einen Indikator von „2“ verwendet hat. Die BaFin hat die Risikoeinordnung durch die Beklagte nicht beanstandet. Die klagende Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e.V. hält diese Einordnung für fehlerhaft; der offene Immobilienfonds sei mit einem Risikoindikator von „6“ auszuweisen.

Die Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth:

Nach Ansicht des LG Nürnberg-Fürth hat die klagende Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e.V. gemäß §§ 8 Abs. 1, 3, 3a, 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG i.V.m. Art. 3 Nr. 1 Nr. 2 lit. a) i.V.m. Anhang II, Teil  1 Nr. 4 lit. c) Nr. 8 DelVO 2017/653 („DelVO“) einen Anspruch auf Unterlassung der Bewertung des streitgegenständlichen Immobilienfonds mit „2“ (niedrige Risikoklasse) bzw. mit „3“ (mittelniedrige Risikoklasse). Denn die Risikobewertung des Fonds in den in Rede stehenden Basisinformationsblättern entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben.

Das Gericht beruft sich hierbei auf Anhang II Teil 1 Nr. 4 lit. c) DelVO. Demnach sind PRIIP hinsichtlich des Marktrisiko-Werts (market risk measure – MRM) in der „Kategorie 1“ einzustufen, wenn ihre Preise nicht mindestens monatlich festgesetzt werden. Eine solche mindestens monatlich stattfindende Preisfestsetzung sei aber im konkreten Fall nicht gegeben. Von daher sei das PRIIP in dem Basisinformationsblatt gemäß Anhang II Teil 1 Nr. 8 DelVO mit einem Gesamtrisikoindikator von „6“ auszuweisen.

Nach Ansicht des LG Nürnberg-Fürth genügt der Umstand, dass börsentäglich Rücknahmepreise errechnet werden, nicht den Anforderungen von Anhang II Teil 1 Nr. 4 lit. c) DelVO an eine mindestens monatlich erfolgende Preisfestsetzung. Das Gericht setzt sich freilich nicht mit dem Wortlaut der Norm – an sich Ausgangspunkt jeder Auslegung – auseinander, sondern argumentiert direkt mit dem Sinn und Zweck der Norm. Das Gericht meint, durch die börsentägliche Berechnung des Rücknahmepreises würde nichts über das Verlustrisiko des zugrundeliegenden Investments ausgesagt, weil den Rücknahmepreisen keine tagesaktuellen, unabhängigen Bewertungen der gehaltenen Immobilien zugrunde liegen. Vielmehr würden die Rücknahmepreise stets auf der zuletzt vergangenen Quartalsbewertung basieren, ohne diese mittels marktgeeigneter Verfahren börsentäglich neu vorzunehmen. Vielmehr sei für die mindestens monatliche Preisfestsetzung im Sinne von Anhang II Teil I Nr. 4 lit. c) DelVO die Bestimmung des Nettoinventarwerts maßgeblich.

Ein Widerspruch zwischen den Vorgaben der DelVO und denen des KAGB bestehe, so das LG Nürnberg-Fürth, nicht. Sofern § 251 KAGB ein Bewertungsintervall von drei Monaten vorsehe, bedeute das nicht, das kürzere Bewertungsintervalle danach untersagt wären. Die Vorgaben der DelVO, namentlich Anhang II, Teil 1 Nr. 4 lit. c) DelVO würden auch nicht zu einer monatlichen Preisfestsetzung zwingen, sondern „lediglich“ regeln, dass bei einem längeren Bewertungsintervall als einem Monat eben die Risikoklasse 6 anzugeben sei.

Ist das Urteil rechtskräftig?

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Laut Presseberichten hat die beklagte Kapitalverwaltungsgesellschaft bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt. Angesichts der Bedeutung der Angelegenheit ist zu erwarten, dass der Rechtsstreit letztlich durch den Bundesgerichtshof entschieden werden wird. Wegen der Vorgaben der PRIIP-VO und der DelVO, die als gemeinschaftsrechtliche Normen autonom auszulegen sind, steht auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof im Raum.

Bewertung / Ausblick:

Nach Auffassung des LG Nürnberg-Fürth sind offene Immobilienfonds hinsichtlich des in die Gesamtrisikobewertung einfließenden Marktrisikos in die Kategorie „1“ einzuordnen, sofern keine mindestens monatliche Bewertung der gehaltenen Immobilien erfolgt. In diesem Fall würden offene Immobilienfonds hinsichtlich des Marktrisikos in die gleiche Kategorie eingeordnet werden wie PRIIP, bei denen die Anleger mehr als den Anlagebetrag verlieren könnten oder Anlagen wie zum Beispiel Optionen, Terminkontrakte, Swaps, Derivative Instrumente für den Transfer von Kreditrisiken, Zinstermingeschäfte (vgl. Anhang II Teil I Nr. 4 lit. b) DelVO i.V.m. Anhang I Abschnitt C Nr. 4-10 der Richtlinie 2014/65/EU).

Ob durch eine solche Einordnung der Kleinanleger tatsächlich in die Lage versetzt wird, „die mit Anlagen in einem PRIIP verbundene Risiken verstehen und vergleichen zu können“ (vgl. Erwägungsgrund (5) der DelVO) oder ob er dadurch nicht letztlich Äpfel mit Birnen vergleichen muss, hat nun das Berufungsgericht zu entscheiden.

Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, wird ihm schon jetzt Signalwirkung auch für andere offene Immobilienfonds beigemessen. Vor allem Verbraucheranwälte sehen eine Prozesslawine sowohl auf die Kapitalverwaltungsgesellschaften als auch, gestützt etwa auf eine angeblich fehlerhafte Anlageberatung, auf die die Fondsanteile vertreibenden Kreditinstitute zukommen. Diese sind also gut beraten, sich eingehend mit dem Urteil zu befassen und sich auf eventuell bevorstehende Klagen sowohl von Verbraucherschutzverbänden als auch von Kleinanlegern vorzubereiten.

Unsere Unterstützung:

Wir verfügen sowohl im Bereich der Investmentfonds als auch in bank- und finanzrechtlichen Streitigkeiten, insbesondere in Kapitalanlagefällen, über umfassende Expertise bei der Abwehr von Ansprüchen. Wir vertreten Ihre Interessen als KVG, Kreditinstitut oder Finanzdienstleister vor allen Land- und Oberlandesgerichten sowohl in sog. Masseverfahren als auch in Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes.

Autor/in
Daniel Latta

Daniel Latta
Partner
Berlin
daniel.latta@luther-lawfirm.com
+49 30 52133 27480

Paula Dresler

Paula Dresler
Associate
Berlin
paula.dresler@luther-lawfirm.com
+49 30 52133 14346