28.04.2022

BFH zu Cum-ex-Geschäften: Kein Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums bei „modellhaft aufgelegtem Gesamtvertragskonzept“

Nachdem der 1. Senat des BGH bereits am 28.07.2021 (1 StR 519/20) in einem Verfahren zu Cum-ex-Geschäften über mehrere Revisionen der Verfahrensbeteiligten zur strafrechtlichen Seite der Cum-ex-Geschäfte entschieden hatte, wurde nunmehr auch das Urteil des I. Senats des BFH vom 02.02.2022 (I R 22/20) in einem Cum-ex-Fall veröffentlicht.

Background

Dabei ging es um einen US-amerikanischen Pensionsfonds, der die Erstattung von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag darauf nach § 50d Abs. 1 Satz 2 ff. i.V.m. Art. 10 Abs. 3 Buchst. d des DBA USA beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) beantragt hatte. Nach dem BZSt und dem FG Köln hat auch der BFH eine solche Erstattung abgelehnt.

Der Pensionsfonds hatte Aktien deutscher Gesellschaften kurz vor dem Dividendenstichtag cum Dividende erworben. Diese wurden erst nach dem Dividendenstichtag ex Dividende übereignet und auf dem Wertpapierdepot gutgeschrieben. Zum Ausgleich dafür, dass die Aktien statt mit tatsächlich ohne Dividendenanspruch geliefert wurden, wurde dem Pensionsfonds eine Kompensationszahlung in Höhe der Nettodividende (entsprechend der Dividende nach Abzug von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag) geleistet.

Der BFH begründet seine ablehnende Entscheidung damit, dass eine solche Erstattung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag voraussetze, dass der Pensionsfonds Gläubiger der Kapitalerträge geworden und die Abzugsteuer auch einbehalten und abgeführt worden sei.

Der Pensionsfonds ist nicht derjenige, der Kapitalerträge erzielt, weil er zum Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses …

Gläubiger der Kapitalerträge in Form von Dividenden oder Dividendenkompensationszahlungen sei derjenige, der die Einkünfte aus Kapitalvermögen erziele. Das wiederum sei die Person, der die Anteile am Kapitalvermögen (also die Aktien) im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses oder des Zuflusses der Kapitalerträge zivilrechtlich oder wirtschaftlich zuzurechnen seien. Ausgangspunkt der Zurechnung sei auch im Steuerrecht das zivilrechtliche Eigentum.

… weder zivilrechtlicher Eigentümer der Aktien …

Vor dem Hintergrund, dass dem Pensionsfonds die mit schuldrechtlichem Vertrag erworbenen Aktien erst nach dem Dividendenstichtag in seinem Depot gutgeschrieben wurden, ging der BFH davon aus, dass der Pensionsfonds das zivilrechtliche Eigentum an diesen Aktien zum relevanten Zeitpunkt noch nicht erworben hatte.

Nachdem der BFH damit das zivilrechtliche Eigentum an den Aktien verneint hatte, widmete er sich eingehend der Frage des sogenannten wirtschaftlichen Eigentums.

… noch wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien war

Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist ein Wirtschaftsgut einem anderen als dem (zivilrechtlichen) Eigentümer zuzurechnen, wenn dieser andere die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann.

Als abstrakte Zurechnungskriterien sieht der BFH insoweit sowohl eine von ihm als „Ausschließungsmacht“ bezeichnete als auch eine von ihm als „aktive Nutzungsmacht“ titulierte wirtschaftliche Dispositionsbefugnis. Diese habe der – im Verhältnis zum zivilrechtlichen Eigentümer – andere Eigentümer im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO inne, wenn er den zivilrechtlichen Eigentümer von der Nutzung ausschließen könne. Die aktive Nutzungsmacht sei durch die faktische Inhaberschaft der positiven Befugnisse des Eigentümers gekennzeichnet. Diese sei gegeben, wenn der andere Eigentümer die Nutzungen selbst wie der zivilrechtliche ziehen könne.

Darüber hinaus stellt der BFH klar, dass es „nur einen geben kann“. Der BFH selbst spricht insofern von „Alternativität“ zwischen den in Betracht kommenden Personen. Von mehreren als zivilrechtlicher oder wirtschaftlicher Eigentümer in Frage kommenden Personen muss sich der Rechtsanwender mithin für eine einzige Person entscheiden, der ein Wirtschaftsgut steuerlich zu einem bestimmten Zeitpunkt zuzurechnen ist. Ein Wirtschaftsgut kann mithin nicht zeitgleich sowohl einem zivilrechtlichen als auch einem wirtschaftlichen Eigentümer oder mehreren wirtschaftlichen Eigentümern zugerechnet werden.

Bezüglich Aktiengeschäften zieht der BFH daraus den Schluss, dass der Erwerber das wirtschaftliche Eigentum „im Allgemeinen“ erst ab dem Zeitpunkt erlange, von dem an er nach dem Willen der Vertragspartner über die Aktien verfügen könne. Dafür müsse er eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb gerichtete Position erworben haben, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden könne. Zudem müsse der Erwerber die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Verwaltungs- und Vermögensrechte sowie die mit Wertpapieren regelmäßig verbundenen Kursrisiken und -chancen bereits übernommen haben.

Die Aussagen des Urteils vom 15.12.1999 (I R 29/97) und des Beschlusses vom 20.11.2007 (I R 85/05), in denen der BFH davon ausgegangen ist, dass bei über die Börse abgewickelten Aktienerwerben das wirtschaftliche Eigentum auch bereits zum Zeitpunkt des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts übergehen könne, relativiert der BFH in seinem jüngsten Urteil, indem er feststellt, dass dem zumindest nicht für alle Formen des Wertpapierhandels gefolgt werden könne. Diesbezüglich weist er darauf hin, dass das Gesetz insoweit eindeutig sei, als es verlange, dass für das Vorliegen wirtschaftlichen Eigentums die „Rechtsmacht“ eines Wertpapiererwerbers vom Wertpapierinhaber als dem Wertpapierverkäufer abgeleitet sein müsse.

Daraus folge zwingend, dass damit das wirtschaftliche Eigentum des Verkäufers bezüglich der betreffenden Wertpapiere ausgeschlossen sein müsse. Das sei bei einem Aktienerwerb „cum Dividende“ kurz vor dem Dividendenstichtag indes offensichtlich nicht der Fall, wenn von vornherein klar sei, dass die Aktien erst nach dem Dividendenstichtag „ex Dividende“ bei Zahlung einer Dividendenkompensationszahlung, die einen von der Dividende unabhängigen, selbständigen Einkünftetatbestand erfülle, geliefert würden und keine weiteren Vereinbarungen bestünden, die zu einer anderen Beurteilung führten.

Schließlich weist der BFH darauf hin, dass es bei der Frage, wem das wirtschaftliche Eigentum an einem Wirtschaftsgut wie beispielsweise Aktien zuzurechnen sei, auf das „Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall“ und damit auf eine Würdigung der Gesamtumstände ankomme, ohne dass diesbezüglich auf einzelne Aspekte („einzelne Strukturkomponenten“) abgestellt werden könne.

Für den konkreten Fall kommt der BFH danach zu dem Schluss, dass der Pensionsfonds „zu keiner Zeit eine irgendwie geartete (bruchteilsbezogene) Herrschaft über die Aktien [hatte], da er die mit dem Innehaben von Wertpapieren verbundenen Rechte weder vor noch nach dem Dividendenstichtag offenkundig in nennenswerter Weise ausüben konnte noch nach der gestalterischen Konzeption auch sollte“. So habe eine Bank die vollständige Kontrolle über das geschäftliche Verhalten des Pensionsfonds gehabt, der des Weiteren gegen Kursrisiken abgesichert war. Das Gestaltungsrisiko habe zudem auch ein Dritter getragen, der im Gegenzug die Chance hatte, innerhalb kurzer Zeit eine verhältnismäßig hohe Rendite zu erzielen. Der Pensionsfonds habe damit weder vor noch nach dem Dividendenstichtag mit dem Erwerb des zivilrechtlichen Eigentums an den Aktien wirtschaftliches Eigentum an ihnen erworben. Er sei wirtschaftlich nur ein passives gestaltungsermöglichendes „Transaktionsvehikel“ gewesen, um die abkommensrechtliche Freistellung von der Abzugsteuer und damit – nunmehr erfolglos – deren Erstattung zu erlangen.

Erstattungsanspruch auch ausgeschlossen, weil keine Steuer einbehalten und abgeführt worden sei

Darüber hinaus scheitere der Erstattungsanspruch auch daran, dass auf Rechnung des Pensionsfonds keine Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt worden sei. Das sei nach dem Wortlaut des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG jedoch Voraussetzung für die Erstattung. Auch die von der Depotbank ausgestellte Bankbescheinigung (Credit-Advice) begründe keinen Erstattungsanspruch, selbst wenn sie neben der Nettodividende auch Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag beziffere. Das hänge zum einen damit zusammen, dass die Bescheinigung wegen des erst nach dem Dividendenstichtag erfolgenden Erwerbs der Aktien nicht auf die Abzugsteuer des Emittenten bezogen werden könne. Zum anderen belege sie nach der im Streitjahr 2011 geltenden Rechtslage auch nicht die spätere auf den Pensionsfonds bezogene Einbehaltung und Abführung der Steuer auf die Dividendenkompensationszahlung.

Fazit: Kein Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums bei „modellhaft aufgelegtem Gesamtvertragskonzept“

Festhalten lässt sich damit, dass nach Auffassung des BFH bei Cum-ex-Geschäften wirtschaftliches Eigentum an Aktien nicht erworben wird, wenn der Erwerb der Aktien Teil eines sogenannten modellhaft aufgelegten Gesamtkonzepts ist, das dazu führt, dass der zivilrechtliche Erwerber die mit einem Aktienerwerb verbundenen Rechte weder ausüben kann noch diese nach der gestalterischen Konzeption ausüben soll, weshalb ihm nur die Funktion zukommt, seine (aufgrund Abkommensrecht gestaltungsermöglichende) Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen, und er angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte lediglich als „passiver Teilnehmer“ („Transaktionsvehikel“) im Geschäftsablauf anzusehen ist.

Als solcher kann er auch nicht Gläubiger der Kapitalerträge aus den Aktien werden, so dass er auch keinen Anspruch auf Erstattung von auf diese Kapitalerträge einbehaltener Kapitalertragsteuer hat.

Dafür spielt es nach Auffassung des BFH auch keine Rolle, ob die betreffenden Transaktionen „außerbörslich“ als Erwerb sogenannter Single-Stock-Futures mit nachfolgender Abwicklung über die Eurex Clearing AG oder „börslich“ im Rahmen sogenannter Schlussauktionen abgewickelt werden.

Der Beitrag ist am 27.04.2022 im Deutschen Anwaltspiegel erschienen.

Author
Dr. Bela Jansen

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Jens Röhrbein

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