"Initiative zeigen und mutig sein!" – Secondment in Shanghai

Dr. Madeleine Martinek, LL.M., LL.M. oec. (Nanjing) ist Rechtsanwältin und am Kölner Standort von Luther tätig. Sie beschäftigt sich beruflich mit Themen des allgemeinen Gesellschaftsrechts, des Außenwirtschaftsrechts, Mergers & Acquisition und insbesondere mit Projekten mit China-Bezug.
Vergangenes Jahr arbeitete sie im Zuge ihres Secondment am Luther-Standort in Shanghai, China. Im Interview berichtet sie über ihren juristischen Arbeitsalltag in Köln und Shanghai, chinesische Pfannkuchen zum Frühstück und welch schöne Seiten und Orte ihr im Secondment begegnet sind.

Nachdem Sie Ihr erstes Staatsexamen absolviert hatten, haben Sie Ihren Doppel-LL.M. im Chinesischen Recht an der Universität Göttingen und der Universität Nanjing, China, absolviert.  Woher kommt Ihre Verbundenheit zu China?

Während meines einmonatigen Aufenthalts im Jahr 2007 in Peking war ich fasziniert von der bewegenden Geschichte und dem unvergleichlichen wirtschaftlichen Fortschritt Chinas. Ich realisierte auch, dass man die chinesische Sprache lernen muss, um die Kultur und Politik tiefgründig zu verstehen und sich mit den Menschen zu unterhalten. Während des Jura-Studiums fing ich an, Chinesisch zu lernen. Es folgten viele China-Reisen, der Besuch einer Summer Law School an der Zhejiang University in Hangzhou 2011, ein einjähriger Aufenthalt an der Universität Nanjing im Rahmen des LL.M.-Programms der Universität Göttingen sowie eine Doktorarbeit im chinesischen Recht. Meinen Berufsstart hatte ich dann auch in China und zwar bei der Auslandshandelskammer (AHK) in Peking, bei der ich ca. zwei Jahre als Leiterin der Rechtsabteilung tätig war.

Aus welchem Grund haben Sie sich für die Kanzlei Luther entschieden?

Gegen Ende meines beruflichen Aufenthalts in Peking von 2019 bis 2021 entschied ich mich, nach Deutschland zurück zu kehren und als Anwältin zu arbeiten. Mir war es wichtig, meinen Bezug zu China aufrechtzuerhalten. Das Luther-Büro in Shanghai kannte ich bereits seit 2010, als ich ein Praktikum in Shanghai im Rahmen meines Jurastudiums absolvierte. Die starke Asien-Präsenz von Luther fand ich faszinierend und außergewöhnlich. Thomas Weidlich, Partner im Bereich Corporate / M&A und Head des an das Corporate / M&A-Team angegliederten China Desk in Köln, überzeugte mich von der attraktiven Kombination von Gesellschaftsrecht, Außenwirtschaftsrecht und aktivem China-Geschäft.

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich normalerweise bei Luther?

Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit liegt zum einen im Bereich des allgemeinen deutschen Gesellschaftsrechts. Wir unterstützen ausländische und inländische Unternehmen bei deren Gründung von deutschen Tochtergesellschaften, begleiten bei Restrukturierungen und Umwandlungen und übernehmende die laufende gesellschaftsrechtliche Beratung, wie z.B. Vorbereitung von Satzungen, Gesellschafterbeschlüssen, Geschäftsordnungen oder Erstellung von Gutachten zu gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen. Zum anderen beraten wir bei inländischen und grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen.

Was macht Ihren Bereich besonders?

Meine Tätigkeit ist sehr vielseitig und international ausgerichtet. Sie deckt das allgemeine Gesellschaftsrecht ab, M&A-Transaktionen sowie das China-Geschäft. Luther betreut im Rahmen des China Desk chinesische Investoren bei deren Einstieg in den deutschen Markt. Dies umfasst Unternehmensgründungen und M&A-Transaktionen. Auch unterstützen wir bereits in Deutschland investierte chinesische Unternehmen bei deren gesellschaftsrechtlichen, arbeitsrechtlichen und vertriebsrechtlichen Problemstellungen. Des Weiteren beraten wir deutsche Mandanten, darunter sowohl etablierte Player als auch Start-ups über ihre Eintrittsmöglichkeiten in den chinesischen Markt. Hier arbeiten wir eng mit Dr. Oliver Maaz in Shanghai, unserer chinesischen Best-Friends-Kanzlei Shao He und teilweise auch anderen chinesischen Kanzleien zusammen. Dabei halten wir die jüngsten Entwicklungen im chinesischen Recht regelmäßig im Blick und informieren hierzu durch Veröffentlichungen von chinesisch-rechtlichen Fachartikeln in den einschlägigen Magazinen zum China Business, aber auch durch Webinare oder sonstige Vorträge u.a. in Zusammenarbeit mit den Industrie- und Handelskammern oder dem Ostasiatischen Verein.

Was hilft Ihnen nach einem stressigen Arbeitstag zur Ruhe zu kommen?

Die Kooperation von Luther mit Fitnessstudios, Massagepraxen und Wellness-Centern finde ich super. Ich nutze die Schwimmbäder in den Fitnessstudios und drehe – häufig vor der Arbeit – ein paar Runden im Pool. Außerdem trifft sich seit letztem Jahr am Kölner Standort im Frühjahr und Sommer einmal in der Woche abends eine kleine Gruppe an Kolleginnen und Kollegen zum Tischtennis im Park. Das macht sehr viel Spaß! Im Herbst und Winter treffen wir uns regelmäßig zum sog. „Kickern und Kölsch“ abends in der 3. Etage. Ansonsten höre ich gerne Literatur- und Kunst-Podcasts, lese oder spiele Klavier.

Aus welchem Grund haben Sie sich für ein Secondment in Shanghai entschieden?

Da ich schon während meiner Tätigkeit im China Desk mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Shanghai zusammengearbeitet habe und ich aktiv im Gesellschafts- und Investitionsrecht in China tätig sein wollte, bot sich die Gelegenheit an – nach knapp zwei Jahren meiner Tätigkeit bei Luther in Köln – für drei Monate in Shanghai zu arbeiten. Auf diese Weise konnte ich meine Chinesisch-Sprachkenntnisse verbessern, die dynamischen Rechtsentwicklungen vor Ort miterleben und meine vielen Kontakte, die ich im Rahmen meiner zahlreichen China-Aufenthalte zu Professoren, chinesischen und deutschen Anwälten und Unternehmen geknüpft hatte, auffrischen. Hinzu kam auch, dass meine Kollegin Dr. Shen Yuan Anfang August zweiwöchige Businesstrips zu unseren Mandanten, wie chinesischen Start-ups und Staatsunternehmen sowie Kooperationskanzleien in Shanghai, Peking und Nanjing organisiert hatte und ich sie begleiten durfte.

Wie sah ein typischer Arbeitsalltag für Sie in Shanghai aus?

Unser Büro in Shanghai ist im Finanzviertel Pudong (Lujiazui) gelegen und befindet sich im 10. Stock des insgesamt 88 Stockwerke umfassenden Jin Mao Tower. Entweder lief ich zu Fuß oder fuhr mit einem Alipay-Fahrrad zum Jin Mao Tower. Unterwegs kaufte ich mir einen chinesischen Pfannkuchen (煎饼, jianbing) und Soja-Milch – ich frühstückte eher chinesisch. Im Tower (meist gegen 9 Uhr) angekommen, arbeitete ich an den Projekten von meinem Kölner Team sowie an den mit meinem Chef in Shanghai, Dr. Oliver Maaz, besprochenen Mandaten. Unsere Mandanten vor Ort in Shanghai sind überwiegend in China investierte Gesellschaften mit deutscher Muttergesellschaft. Häufig ging es um interne Restrukturierung, z.B. Änderungen in der Organstruktur, für die ich englisch-chinesische Gesellschafterbeschlüsse und Satzungsänderungen entwarf. Des Weiteren standen arbeitsrechtliche Problemstellungen im Raum, wie die Beendigung von Arbeitsverträgen von bei einem Representative Office über eine chinesische Arbeitsagentur angestellten Arbeitnehmern. Auch Business Development spielte eine Rolle: So nahm ich an einigen Events der AHK Shanghai teil, traf Wirtschaftsförderungsgesellschaften, wie NRW.Global Business oder besuchte eine der wichtigsten Industriemessen, nämlich die China International Industry Fair. Die Arbeitstage waren also sehr abwechslungsreich.

Wie haben Sie Ihren Arbeitsalltag und Ihre Freizeit gestaltet? 

Das Leben in Shanghai ist aufgrund des digitalen Fortschritts sehr bequem. Bargeld und Kreditkarten werden kaum genutzt. Die Bezahlung, aber auch die Organisation von Einkäufen, Essen gehen, Sport und sonstigen Freizeitaktivitäten laufen über WeChat oder Alipay. Man muss die einschlägigen Programme innerhalb des chinesischen WeChat haben und kann auf diese Weise sein Fitnesscenter oder Restaurant / Café aussuchen. An den Wochenenden habe ich chinesische Freunde oder Expats in der mit schnuckeligen Cafés und Bars reichen ehemaligen Französischen Konzession getroffen oder bin am Bund (Uferpromenade in Shanghai) spazieren gegangen. Die Skyline auf das Finanzzentrum Pudong ist einfach gigantisch. Oftmals bin ich auch mit dem Zug in andere umliegende Städte gefahren, um diese zu erkunden. Zugfahrten sind ein wahrer Genuss in China. Eine Distanz von Shanghai nach Peking, die insgesamt ca. 1200 km umfasst, legt der chinesische Schnellzug in viereinhalb Stunden zurück, eine Verspätung kommt praktisch nie vor.

Wie sah die Zusammenarbeit mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in Shanghai aus?

Meine Kolleginnen und Kollegen waren sehr hilfsbereit. Sie unterstützten mich bei Fragen in der Übersetzung oder bei materiellrechtlichen Fragen des chinesischen Rechts. Auch für eine chinesisch-sprachige Präsentation, die ich vor chinesischen Start-ups in Peking halten durfte, erfuhr ich viel Unterstützung. Umgekehrt half ich meinen chinesischen Kolleginnen und Kollegen bei deren Verfassen von englisch- und deutschsprachigen Fachartikel zum chinesischen Börsenrecht. Bei den gemeinsamen Mittagessen tauschten wir uns über unsere Erinnerungen an Nanjing aus (viele hatten, wie ich auch, in Nanjing studiert), über die politische und wirtschaftliche Lage in China und Deutschland und planten gemeinsame Aktivitäten, wie z.B. den nächsten gemeinsamen KTV-Abend. Wer es nicht kennt: KTV ist die chinesische Form von Karaoke.

Welche Erfahrungen haben Sie in Shanghai gemacht, die Ihnen zukünftig in Ihrem beruflichen oder privaten Leben helfen könnten? Was haben Sie Neues gelernt?

China ist ein facettenreiches Land. Neben all den schönen Begegnungen mit herzlichen, hilfsbereiten und gastfreundschaftlichen Menschen, gibt es auch nervlich sehr anstrengende Momente geprägt von Missverständnissen in der Kommunikation und in der Denkweise. Bei manchen in chinesischer Sprache ablaufenden Gesprächen mit chinesischen Geschäftsleuten dachte ich, dass ich schon wieder einige Aspekte nicht klar verstanden habe, obwohl ich fast wöchentlich meinen Chinesisch-Sprachkurs habe. Das frustriert. Was man auch bedenken muss: Nur mit VPN sind WhatsApp und Google zugänglich. WeChat ist für die private wie auch berufliche Kommunikation unentbehrlich. Es ist eine völlig andere Lebensweise. Aber man gewöhnt sich schnell daran. Und dann merkt man, dass so einiges effizienter läuft als hierzulande. Ich habe gelernt, geduldig zu sein, weiter am Erlernen der chinesischen Sprache festzuhalten und sich auf die andere Kultur einzulassen, auch wenn es manchmal mühsam und aufwendig ist. Es lohnt sich.

Was würden Sie Kolleginnen und Kollegen raten, die auch mit dem Gedanken spielen, ein Secondment zu absolvieren? Würden Sie ein Secondment im Ausland empfehlen?

Initiative zeigen und mutig sein! Die vielen Luther-Standorte in Asien bieten großartige Möglichkeiten, eine völlig andere Kultur, und ein anderes Rechtssystem und Unternehmertum kennen zu lernen. Südostasien hat ein dynamisches Wachstum. Gerade ist dort die größte Freihandelszone der Welt entstanden. Es ist spannend, diese Dynamik und den Ehrgeiz der vor allem jungen Entrepreneurs mitzuerleben und sich mit den Menschen vor Ort auszutauschen. Diese Arbeits- und Lebenserfahrungen sind für international arbeitende Anwältinnen und Anwälte sehr wertvoll und schulen die (rechts-)kulturelle Offenheit und das Verständnis dafür, dass es auch noch andere wichtige Rechtsordnungen gibt als die deutsche Jurisdiktion. Ich kann ein solches Secondment uneingeschränkt empfehlen.

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