19.03.2020

Internationale Zuständigkeit bei Schadensersatzansprüchen aus Güterbeförderung: Gerichtsstand nach Art. 31 CMR auch gegenüber Haftpflichtversicherer des Frachtführers

Hintergrund

Das zuständige Gericht für eine Klage zu bestimmen, kann sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten – trotz Gerichtsstandsvereinbarung – komplex gestalten, da meist verschiedene Gerichtsstände nebeneinander bestehen. So auch im hier vorgestellten Fall, in welchem eine in Polen ansässige Spedition nicht nur ihren polnischen (Unter-)Auftragnehmer vor einem deutschen Gericht in Anspruch nehmen kann, sondern auch dessen ebenfalls in Polen ansässige (Güterschaden-)Haftpflichtversicherung. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 29. Mai 2019 entschieden, Az. I ZR 194/18.

Sachverhalt

Die in Polen ansässige Spedition D. (Klägerin) war aus einem eigenen Vertragsverhältnis verpflichtet, Ventile für die Automobilindustrie von Mailand (Italien) nach Salzgitter (Deutschland) zu befördern. Zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten (unter-)beauftragte die Klägerin einen in Polen ansässigen Unternehmer (Beklagte zu 1)). Dieser unterhielt eine Güterschadenhaftpflichtversicherung bei einem polnischen Versicherer (Beklagte zu 2)). Bei dem von der Klägerin beim Beklagten zu 1) in Auftrag gegebenen Transport kam es zu Schäden an den Ventilen. Die Klägerin nahm nunmehr sowohl die Beklagte zu 1) als auch die Beklagte zu 2) auf Ersatz der ihr entstandenen Schäden vor einem deutschen Gericht in Anspruch. Gegenüber letzterer berief sie sich auf Art. 822 § 4 des polnischen Zivilgesetzbuches (ZGB), welcher einen Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer des Schädigers vorsieht. Die Beklagte zu 2) rügte die Zuständigkeit deutscher Gerichte – der BGH bejahte diese jedoch in Übereinstimmung mit den Entscheidungen der Vorinstanzen.

Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 31 Abs. 1 CMR

Entscheidend für die Beantwortung der Zuständigkeitsfrage war die Auslegung des Art. 31 Abs. 1 CMR (Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route/Genfer Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr vom 19. Mai 1956). Das CMR ist ein völkerrechtliches Abkommen zwischen 55 Teilnehmerstaaten. Es regelt im Bereich der Güterbeförderung auf der Straße wichtige Fragen des materiellen Rechts, etwa zu den vertraglichen Rechten und Pflichten von Absender, Frachtführer und Empfänger sowie die Anforderungen an den einheitlichen CMR-Frachtbrief. Daneben regelt das CMR auch prozessuale Fragen, wie die internationale Zuständigkeit der Gerichte innerhalb des Vertragsgebiets des CMR. Vor den Gerichten welchen Teilnehmerstaats Ansprüche eingeklagt werden können, regelt Art. 31 CMR abschließend.

Fraglich war, ob besagter Art. 31 Abs. 1 CMR, der im entschiedenen Fall auch die Zuständigkeit deutscher Gerichte begründete, nicht nur gegenüber dem polnischen Subunternehmer, sondern auch für den Direktanspruch gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer galt. In Art. 31 CMR heißt es:

„Wegen aller Streitigkeiten aus einer diesem Übereinkommen unterliegenden Beförderung kann der Kläger […]  die Gerichte eines Staates anrufen, auf dessen Gebiet […] der für die Ablieferung vorgesehene Ort liegt.“

Da der Ablieferungsort Salzgitter in Deutschland liegt und der Anwendungsbereich des CMR primär für etwaige Ansprüche zwischen den Parteien eines Beförderungsvertrags eröffnet ist, kann im Verhältnis zur Beklagten zu 1), als direktem Vertragspartner der Klägerin, problemlos die Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet werden. Dass deutsche Gerichte gemäß Art. 31 Abs. 1 CMR auch für Direktansprüche gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer zuständig sind, bedurfte hingegen der Klarstellung durch den BGH. Schließlich bestand zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) keine vertragliche Verbindung. Es standen somit nur gesetzliche Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Raum, die vom Wortlaut des Art. 31 CMR zumindest nicht ausdrücklich erfasst sind. Der BGH entschied, dass auch außervertragliche Ansprüche unter den Anwendungsbereich von Art. 31 Abs. 1 CMR fallen.

Die Bundesrichter begründeten dies mit dem engen Zusammenhang, den die außervertraglichen Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) zu dem Beförderungsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) aufweisen. Ein solcher Vertrag sei laut BGH zwar notwendige Voraussetzung für die Anwendung des CMR; sodann seien aber auch außervertragliche Ansprüche von Art. 31 Abs. 1 CMR umfasst. Die Norm spreche bewusst von „Beförderung“ und nicht von „Beförderungsvertrag“. Ziel der Regelung sei es zudem, dass verschiedene Streitigkeiten aus demselben Beförderungsverhältnis in einem einzigen Rechtsstreit bei demselben Gericht entschieden werden und somit nicht die Gefahr divergierender Entscheidungen bestünde. Die geltend gemachten Direktansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) seien zudem akzessorisch an die vertraglichen Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) gekoppelt: die Direktansprüche bestünden nur, wenn und soweit vertragliche Ansprüche bestünden. Insbesondere könne die Beklagte zu 2) dieselben Einwendungen gegen die Direktansprüche geltend machen, welche auch gegen die vertraglichen Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu 1) eingewendet werden könnten.

Bewertung und Fazit

Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen. Die Rechtsdurchsetzung im Transportsektor wird hierdurch ein Stück weit vereinfacht und vereinheitlicht. Der Entscheidung des BGH folgend können in einem einzigen Rechtsstreit Ansprüche gegen unterschiedliche Anspruchsgegner – die sich die klagende Partei bei außervertraglichen Ansprüchen nicht hat selbst aussuchen können – verfolgt werden, was zu Systematik und Zielsetzung des CMR passt.

Für die Praxis bedeutet dies, dass sich bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten zusätzliche Auswahlmöglichkeiten beim Klageort ergeben. Zwischen Gerichten in verschiedenen Staaten können sich Unterschiede in der Prozessordnung und Bearbeitungsdauer ebenso ergeben wie bei den Voraussetzungen der Vollstreckung eines Urteils oder gerichtlichen Vergleichs. Entsprechend ist davon auszugehen, dass sich die Klägerin im hiesigen Rechtsstreit bewusst für eine Klage beim Landgericht Braunschweig entschieden hat, obwohl sie nach den Bestimmungen des Art. 31 Abs. 1 CMR auch in Polen oder Italien hätte Klage erheben können. Unter Umständen kann sich sogar das anwendbare (materielle) Recht unterscheiden, da sich dieses nach den sogenannten Kollisionsnormen richtet, die im Staat des Gerichts gelten. Innerhalb der Europäischen Union sind diese Kollisionsnormen allerdings weitgehend vereinheitlicht, so für das Vertragsrecht und das Recht der unerlaubten Handlungen in den Verordnungen Rom I beziehungsweise Rom II.

Autor/in
Dr. Stephan Bausch, D.U.

Dr. Stephan Bausch, D.U.
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