25.11.2022
Bedingt durch die Niedrigzinsphase und der damit einhergehenden Entscheidung der Europäischen Zentralbank, einen negativen Zinssatz für Einlagenfazilitäten zu erheben, haben sich zahlreiche Kreditinstitute dazu entschieden, auf Einlagen von Verbrauchern ein sog. Verwahrentgelt zu erheben. Dieses Verwahrentgelt wird in der Diskussion vielfach als „Negativzins“ bezeichnet. Die Zulässigkeit eines solchen Verwahrentgelts vor allem bei Verträgen mit Verbrauchern ist sehr umstritten und wird folglich auch von den Instanzgerichten unterschiedlich beurteilt. Eine Klärung durch den Bundesgerichtshof (BGH) steht noch aus.
In einem auch in der Tagespresse viel beachteten Urteil hatte sich jüngst das LG Frankfurt am Main im Rahmen einer Verbandsklage nach dem „Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen“ (UKlaG) unter anderem mit der Zulässigkeit eines Verwahrentgelts bei Verträgen über Spareinlagen mit Verbrauchern zu befassen (vgl. LG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.11.2022 – 2-25 O 228/21).
Streitgegenständlich waren mehrere Klauseln eines Kreditinstituts, die für die Verwahrung von Einlagen oberhalb eines gewissen Freibetrages ein Verwahrentgelt in Höhe von 0,5 % p.a. vorsahen. Die Klägerin, eine Verbraucherzentrale und damit eine qualifizierte Einrichtung nach § 4 UKlaG, hielt diese Klauseln nach Maßgabe der §§ 307 ff. BGB für unwirksam und verlangte von dem beklagten Kreditinstitut, es zu unterlassen, die angegriffenen Klauseln bei Verträgen über Spareinlagen mit Verbrauchern zu verwenden und/oder sich in Bezug auf Verträge über Spareinlagen mit Verbrauchern auf deren Wirksamkeit zu berufen. Zudem begehrte die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, ihr detailliert Auskunft darüber erteilen, mit welchen Verbrauchern eine Vereinbarung über Spareinlagen geschlossen worden ist, die die konkret angegriffenen Klauseln enthielten. Darüber sollte die Beklagte verurteilt werden, die entsprechenden Kunden mittels eines Berichtigungsschreibens über die Unwirksamkeit der verwendeten Klausel zu informieren.
Das LG Frankfurt am Main hat der Klage überwiegend stattgegeben.
Nach Ansicht des Gerichts sind die angegriffenen Klauseln über die Vereinbarung eines Verwahrentgelts bei Sparverträgen mit Verbrauchern unwirksam, weil sie diesen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, § 307 Abs. 1 BGB. Bei den Klauseln handele es sich jeweils um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB, die zudem als sog. Preisnebenabrede der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 307 ff. BGB unterworfen seien.
Da ein Klauselverbot nach § 308 f. BGB nicht in Betracht kam, hatte das Gericht zu prüfen, ob die jeweilige Klausel gemäß § 307 Abs. 1 BGB deshalb unwirksam ist, weil „sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt“ (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dabei ist eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel dann anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.
Nach Auffassung des Gerichts war im zu beurteilenden Sachverhalt eine solche unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB gegeben: Die Spareinlage stelle rechtlich eine unregelmäßige Verwahrung im Sinne des § 700 BGB dar. Auf den unregelmäßigen Verwahrungsvertrag finden gemäß § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB bei Geld die Vorschriften des Darlehensrechts (§§ 488 ff. BGB) Anwendung. Folglich sei es eine Hauptleistungspflicht der Bank, Zinsen auf das Sparguthaben zu zahlen, und zwar nach Auffassung des Gerichts selbst dann, „wenn es 0,00 % sind“. Aus der Verweisung des § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB auf das Darlehensrecht (§§ 488 ff. BGB) ergebe sich außerdem, dass den Sparer keine weitergehende Pflicht treffen könne, als dem Kreditinstitut einen Geldbetrag zu überlassen. Folglich könne mit ihm in AGB auch kein negativer Zins und damit auch kein Verwahrentgelt vereinbart werden.
Das LG Frankfurt am Main sprach in seinem Urteil, gestützt auf §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1 UWG i.V.m. § 242 BGB, der Klägerin auch einen Auskunftsanspruch gegenüber der Beklagten zu. Dieser Auskunftsanspruch sei darauf gerichtet, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, „welche Verbraucher, mit denen ein Vertrag über eine Spareinlage bestand bzw. besteht, [eine Vereinbarung mit bestimmten Klauseln] unterzeichnet haben, durch Bekanntgabe einer geordneten Auflistung der Vor- und Zunamen sowie durch Bekanntgabe der Anschriften der Kunden“. Dieser Auskunftsanspruch diene, so das Gericht, der Vorbereitung des Folgenbeseitigungsanspruchs, der im gegebenen Fall darauf gerichtet sei, die Verbraucher über die Unwirksamkeit der verwendeten Klauseln zu informieren.
Der Auskunftserteilung stehe auch nicht Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. d) DS-GVO entgegen. Vielmehr sei die Datenverarbeitung im oben genannten Umfang erlaubt, weil sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich sei und die Interessen oder Grundrechte der betroffenen Personen nicht überwiegen. Das Gericht wertet dabei das Interesse der klagenden Verbraucherzentrale an der Unterbindung unwirksamer Klauseln im Interesse der Gesamtheit der Verbraucher insgesamt höher als das Interesse des einzelnen Bankkunden am Schutz seiner personenbezogenen Daten, zumal die Auskunft auf Vor- und Zuname sowie Anschrift beschränkt sei.
Wie bereits unter 2. erwähnt, hat das LG Frankfurt am Main das betroffene Kreditinstitut dazu verurteilt, auf eigene Kosten die Verbraucher, gegenüber denen eine bestimmte Klausel verwendet wurde, innerhalb einer bestimmten Frist darüber zu informieren, dass die verwendete Klausel unwirksam sei und nicht weiter verwendet werden dürfe. Ein solcher Anspruch ergebe sich aus § 8 Abs. 1 UWG, wonach von demjenigen, der eine nach § 3 oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, Beseitigung verlangt werden könne. Die unzulässige geschäftliche Handlung sah das Gericht bereits allein in der Verwendung einer nach § 307 BGB unwirksamen AGB.
Das Urteil des LG Frankfurt am Main hat auch in der Tagespresse ein großes Echo erfahren. Ebenso wie das LG Berlin (Urt. v. 28.10.2021 – 16 O 43/21) und das LG Düsseldorf (Urt. v. 22.12.2021 – 12 O 34/21) hat es sich gegen die Zulässigkeit eines Verwahrentgelts bei Neuverträgen ausgesprochen.
Die im Urteil gegebene Begründung zur Unwirksamkeit des Verwahrentgelts gemäß § 307 BGB greift allerdings sehr kurz. Aus der vielfach bemühten und auch vom Gericht herangezogenen Verweisung des § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB auf § 488 BGB folgt erst einmal nur, dass der unregelmäßige Verwahrer und folglich das Kreditinstitut verpflichtet ist, dem Sparer einen geschuldeten Zins zu zahlen. Ist hingegen ein Zins nicht geschuldet, besteht (selbstverständlich) auch keine Pflicht zur Zinszahlung.
Davon zu trennen ist freilich die Frage, ob nach dem gesetzlichen Leitbild der unregelmäßige Verwahrvertrag kostenlos ist oder für die unregelmäßige Verwahrung ein Entgelt verlangt werden kann. Für diese Frage dürfte § 700 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 488 BGB unmittelbar nichts hergeben. Mit guten Gründen wird daher auch die Auffassung vertreten, dass bei neu abgeschlossenen Verträgen die Vereinbarung eines Verwahrentgelts zulässig sei und als Preis- und Leistungsvereinbarung schon nicht der AGB-Kontrolle unterliege. In diesem Sinne hat etwa das OLG Dresden (Urt. v. 18.01.2022 – 8 U 1389/21) bei einem Girovertrag die Wirksamkeit eines Verwahrentgelts bejaht und das erstinstanzliche Urteil des LG Leipzig (Urt. v. 08.07.2021 – 05 O 640/20) bestätigt.
Auch soweit das LG Frankfurt am Main in seinem Urteil der klagenden Verbraucherzentrale einen auf § 8 UWG gestützten Folgenbeseitigungs- und Auskunftsanspruch zugebilligt hat, kann das Urteil nicht überzeugen. Das gilt vor allem für die darin geäußerte Ansicht, bereits der Verstoß gegen § 307 BGB stelle eine unlautere geschäftliche Handlung im Sinne von § 3 UWG dar. Eine nähere Begründung hierfür oder gar ein Hinweis auf einschlägige Rechtsprechung des BGH liefert das Urteil nicht. Demgegenüber wird im Schrifttum unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 14.12.2017 - I ZR 184/15) darauf hingewiesen, dass aus der Verwendung einer AGB-widrigen Klausel nicht per se auf eine unlautere geschäftliche Handlung geschlossen werden könne. Auf diese Gegenstimmen geht das Gericht in seinem Urteil nicht ein.
Es bleibt daher abzuwarten, ob dieses Urteil Bestand haben wird. Letztlich werden die im Urteil behandelten Fragen vom BGH geklärt werden müssen.
Daniel Latta
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