03.07.2023
Der EuGH erhielt im März erneut Gelegenheit, zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nach Art.17 Absatz 2 Buchst. a und b der Richtlinie 86/653/EWG („Richtlinie“) Stellung zu nehmen (EuGH, Urteil vom 23. März 2023 – C-574/21). Gegenstand der Entscheidung war insbesondere die Frage, welche Provisionsverluste bei den „dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen“ zu berücksichtigen sind. Hierzu hatte sich bereits eine gegensätzliche Rechtsprechung der nationalen Gerichte entwickelt. Nach deutscher Rechtsprechung handelte es sich bei den „entgehenden Provisionen“ um solche, die der Handelsvertreter im Falle der Fortsetzung des Handelsvertretervertrags aus zukünftigen Geschäften erhalten hätte. Tschechische Gerichte lehnten dieses Verständnis ab. Sie berücksichtigten bei der Berechnung des Ausgleichs ausschließlich solche Provisionen, die dem Handelsvertreter aus bereits vor Beendigung des Handelsvertretervertrags abgeschlossenen Geschäften entgingen.
Der dem Gericht vorliegende Sachverhalt betraf eine Auseinandersetzung zwischen O2Czech Republic und einem tschechischen Handelsvertreter. Der Handelsvertreter vermittelte für O2Czech Republic Verträge in Tschechien im Bereich der Telekommunikationsdienste und des Verkaufs von Mobiltelefonen. Er erhielt für jeden abgeschlossenen Vertrag eine einmalige Provision. Nach Beendigung des Handelsvertretervertrags verlangte der Handelsvertreter, zusätzlich zu den bis zum Zeitpunkt der Beendigung vertraglich vereinbarten Einmalprovisionen, die Zahlung eines Ausgleichs für den von ihm geworbenen Kundenstamm.
Der EuGH hatte im Wesentlichen über die folgenden Fragen zu entscheiden:
1. Sind bei der Bestimmung des Ausgleichs solche Provisionen zu berücksichtigen, die der Handelsvertreter im Fall eines hypothetischen Fortbestands des Handelsvertretervertrags für Geschäfte erhalten hätte, die nach Beendigung des Handelsvertretervertrags mit neuen Kunden, die er für den Unternehmer vor dieser Beendigung geworben hat, oder mit Kunden, mit denen er die Geschäftsverbindung vor dieser Beendigung wesentlich erweitert hat, abgeschlossen worden wären („hypothetische Provisionen“)?
2. Sofern hypothetische Provisionen im Rahmen des Ausgleichs grundsätzlich zu berücksichtigen sind, gilt dies auch dann, wenn eine Einmalprovision vereinbart wurde?
Der EuGH stellte seiner Entscheidung die Berechnungsgrundlage des Ausgleichs voran. Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie sieht eine dreistufige Prüfung vor. Auf der ersten Stufe sind die dem Unternehmer erwachsenden Vorteile zu quantifizieren (Art. 17 Abs. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich). Auf der zweiten Stufe erfolgt eine Billigkeitsprüfung des auf der ersten Stufe errechneten Betrags, bei der insbesondere die „dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen“ zu berücksichtigen sind (Art. 17 Abs. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich). Zuletzt wird auf der dritten Stufe der Betrag an der in Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie festgelegten Höchstgrenze (durchschnittliche Jahresprovision bezogen auf die letzten fünf Jahre) gemessen.
Gerade die erste Vorlagefrage betrifft Grundsätzliches: Muss der Unternehmer die Vorteile, die er auch nach Vertragsbeendigung aus Geschäften mit dem vom Handelsvertreter geworbenen Kundenstamm zieht, ausgleichen oder nicht? Der EuGH bejaht dies und erteilt der Rechtsauslegung der tschechischen Rechtsprechung damit eine Absage.
Seine Entscheidung gründet der EuGH v. a. auf die folgenden Erwägungen: Art. 17 Abs. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Richtlinie spricht ausdrücklich von „noch erheblichen Vorteilen,“ die der Unternehmer aus Geschäften des Handelsvertreters „zieht.“ Es geht also um Vorteile, die nach Vertragsbeendigung beim Unternehmer fortbestehen. Der Unternehmer profitiert auch nach Beendigung des Handelsvertretervertrags von dem vom Handelsvertreter geworbenen Kundenstamm, indem der Unternehmer die Geschäftsbeziehung fortsetzt und regelmäßig für weitere Geschäftsabschlüsse nutzt bzw. nutzen kann. Der Ausgleich bezieht sich daher auf die mit dem Kundenstamm nach Vertragsbeendigung abgeschlossenen Geschäfte, an denen der Vertreter nun nicht mehr beteiligt ist. Bei den „dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen“ muss es sich daher spiegelbildlich um die Provisionen handeln, die der Handelsvertreter im Falle des Fortbestands des Handelsvertretervertrags aus dem Abschluss von Geschäften mit dem von ihm geworbenen Kundenstamm erhalten hätte.
Hintergrund der zweiten Vorlagefrage ist die Überlegung, ob der Unternehmer die Vorteile, die er auch nach Vertragsbeendigung aus dem vermittelten Kundenbestand zieht, durch die Zahlung einer Einmalprovision bereits vollständig abgegolten hat mit der Folge, dass für einen zusätzlichen Ausgleich kein Raum mehr bleibt.
Dies war in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt aber nicht der Fall: Die Einmalprovision stellte eine pauschale Vergütung für jeden neuen Vertrag – auch mit Bestandskunden – dar. Der Handelsvertreter hätte daher bei Fortführung des Handelsvertretervertrags Provisionen für Geschäfte mit dem von ihm geworbenen Kundenstamm erhalten können, deren Verlust bei Beendigung des Handelsvertretervertrags auch nicht durch bereits erhaltene Provisionen abgedeckt war. Der EuGH hatte daher zu Recht die zweite Vorlagefrage für den Fall, dass die Einmalprovisionen pauschalen Vergütungen für jeden neuen Vertrag entsprechen, bejaht.
Diese Ausgestaltung der Einmalprovision steht im Gegensatz zu solchen Einmalprovisionen, die – so das deutsche Rechtsverständnis des Begriffs – ausschließlich eine pauschale Vergütung für die Vermittlung eines Neukunden vorsehen, deren Betrag also unabhängig von der weiteren Dauer und Entwicklung der Geschäftsbeziehung mit diesem Kunden ist. Hier können dem Handelsvertreter nach Vertragsbeendigung überhaupt keine Provisionen für zukünftige Geschäfte mit dem von ihm geworbenen Kunden entgehen. Zu Frage, wie sich solche Einmalprovisionen auf die Berechnung auswirken, hat der EuGH bisher noch nicht entschieden. Klar ist, dass die Vereinbarung einer Einmalprovision – unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung – den Ausgleichsanspruch nicht von vorneherein ausschließt. Schon nach der Konzeption des Ausgleichsanspruchs sind die „entgehenden Provisionen“ nur einer von mehreren bei der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigenden Faktoren.
Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH zukünftig nochmal Gelegenheit erhält, zur Berechnung des Ausgleichs bei Einmalprovisionen für die Vermittlung von Neukunden Stellung zu nehmen. Der Umstand, dass ein Ausgleichsanspruch ohne Provisionsverluste zumindest einmal bestehen kann, ändert doch nichts daran, dass bei Einmalprovisionen der nach Vertragsbeendigung verbleibende Unternehmervorteil regelmäßig bereits vergütet wurde. Im Ergebnis führt das Fehlen von Provisionsverlusten daher dazu, dass ein Ausgleich nicht der Billigkeit entspricht und der Anspruch auf Null zu reduzieren ist.
Dr. Johannes Teichmann
Partner
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